Die Zahl
und hielt ihr die Haustür auf.
»Ich dachte, ich kann ja mal kurz vorbeischauen.«
Lorentz nahm ihr die Jacke ab. »Kennen Sie den Chefinspektor gut?«
»Jein«, sagte die Frau, deren Namen Lorentz noch immer nicht wusste. »Er kommt fast jeden Tag bei uns im Geschäft vorbei. Wenn nicht zu viele Kunden da sind, unterhalten wir uns manchmal. Ich finde, dass er ein wirklich netter Mann ist, und habe mich deshalb auch sehr über seine Einladung gefreut.«
Sie gingen die Treppe hoch. »Ich heiße übrigens Leander«, sagte Lorentz.
»Valerie«, sagte die Frau aus der Metzgerei.
...
Morell, der noch nicht wusste, was Lorentz angestellt hatte, saß derweil noch immer in der Küche und grübelte. Der Gedanke, dass er etwas vernachlässigt hatte, malträtierte ihn wie ein Sandkorn im Auge oder ein kleiner Kieselstein im Schuh. Es ließ ihm keine
Ruhe und brachte ihn dazu, unruhig herumzuzappeln. Er würde draufkommen. Das wusste er. Er war ganz nah dran.
»Ich habe gedroht, dass ich dich zur Not mit Gewalt hier rausschleppe.« Capelli hatte wieder ihren Kopf zur Tür hereingesteckt.
»Nur noch zehn Minuten«, bat Morell.
»Du hast es versprochen.«
»Na gut.« Widerwillig verließ Morell seine Küche und trat in den Flur, wo er gerade noch einen Blick auf Lorentz und Valerie werfen konnte, die gemeinsam das Wohnzimmer betraten.
Er blinzelte. Das konnte nicht wahr sein.
Seine erste Reaktion war Flucht. Er ließ die verdatterte Capelli einfach stehen, raste in sein Schlafzimmer und setzte sich aufs Bett. Seit Monaten ging er fast täglich in die Metzgerei, nur um dort einen Blick auf Valerie zu werfen oder hie und da ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Seit Wochen traute er sich nicht zu fragen, ob sie einmal mit ihm ausgehen wollte, und ärgerte sich nachher daheim über seine Feigheit. Und jetzt stand sie hier in seinem Haus. Einfach so. Er sah in den Spiegel. Dieses Hemd konnte er unmöglich anbehalten. Er zog sich ein anderes an und atmete tief durch.
»Jetzt nur nicht die Nerven verlieren«, sagte er zu sich selbst. »Du hast in den letzten Tagen viel schlimmere Dinge durchgemacht. Jetzt wirst du es doch wohl auch schaffen, deiner Traumfrau entgegenzutreten.«
Er ging langsam ins Wohnzimmer. Sein Herz raste, und er spürte, wie seine Hände schwitzten. Da stand sie. Zusammen mit Lorentz. Das hätte er sich ja denken können, dass Lorentz etwas mit Valeries Erscheinen zu tun hatte. Morell wusste nicht, ob er ihn dafür umarmen oder verprügeln sollte. Fest stand, dass er am liebsten sofort wieder davonrennen würde. Er würde noch einmal ins Badezimmer gehen und sich ein wenig frisch machen. Aber da war es schon zu spät. Valerie hatte ihn entdeckt und kam lächelnd auf ihn zu.
»Herr Morell, da sind Sie ja. Vielen Dank, ich hab mich sehr über Ihre nette Einladung gefreut.«
Morell verstand nur Bahnhof. Hinter Valerie tauchte Lorentz auf und versuchte mit wilden Gesten, ihm etwas zu verstehen zu geben.
»Ähm, ja«, stotterte der Chefinspektor. »Gern geschehen. Ich freue mich, dass Sie kommen konnten.«
»Leander hat mir erzählt, dass Sie diese tollen gefüllten Teigtaschen selbst gemacht haben«, sagte Valerie und zeigte auf einen Teller, den sie in der Hand hielt.
Morells gerötete Wangen wurden noch einen Ton dunkler. »Äh, das stimmt. Aber sagen Sie doch bitte Otto zu mir.«
»Nur wenn Sie mich Valerie nennen.«
»Sehr gern, Valerie.«
»Die Teigtaschen sind einmalig. Was ist dein Geheimnis? Ist da Frischkäse drinnen?«
Morell lächelte. »Sie kochen, das heißt, ich meine, du kochst wohl auch gerne.«
»Für mein Leben gern.«
»Wenn du möchtest, kann ich dir das Rezept aufschreiben.«
»Wirklich? Das wäre phantastisch.«
Morell zog einen Stift aus seiner Brusttasche und suchte nach einem Stück Papier. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Lorentz heimlich versuchte, sich aus dem Wohnzimmer zu schleichen. »Wir beide sprechen uns noch«, zischte er ihm zu. Aus Morells Gesichtsausdruck konnte Lorentz aber ablesen, dass die Standpauke nicht so schlimm ausfallen würde, wie er befürchtet hatte.
...
Lorentz holte sich seine Jacke und ging auf den Balkon, um dort eine Zigarette zu rauchen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er dort auf Capelli treffen würde.
»Du rauchst?«, fragte er.
Sie drehte sich um. »Gelegentlich. Was dagegen?«
»Nein, ich dachte nur, dass Ärzte gesundheitsbewusster wären.«
»Ich bin keine Ärztin, sondern eine Leichenschnibblerin. Schon
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