Die Zahl
lassen und ihm voll und ganz verziehen.
Morell hatte beschlossen, den Waffenstillstand mit einem guten Tropfen zu besiegeln, und war deshalb in Richtung Keller verschwunden, um dort eine Flasche Wein zu holen. Vorher hatte er im offenen Kamin ein Feuer gemacht, sodass es jetzt wohlig warm im Wohnzimmer war.
»Du bist wohl auch hier eingeschneit«, fragte Capelli und musterte Lorentz, der in Morells Bücherregal herumstöberte.
»Ganz richtig«, antwortete er. »Genau wie du, oder?«
»Leider«, stöhnte Capelli. »Eigentlich sollte ich jetzt in Italien sein und mir die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, aber stattdessen sitze ich in eurem Kaff fest und drehe Däumchen.«
»Du hast es doch gar nicht so schlecht getroffen.« Lorentz zog ein Buch über biologische Schädlingsbekämpfung aus dem Regal. »Hier bei Otto ist es doch sehr nett. Er hat ein großes Haus, und meine Mutter hat mir einmal erzählt, dass an ihm ein Haubenkoch
verlorengegangen ist.« Lorentz stellte das Buch zurück und setzte sich neben Capelli aufs Sofa. »Und außerdem«, er sah sie mit einem verschwörerischen Grinsen an.
»Was außerdem?«
»Na ja, läuft da was zwischen euch?«
» NEIN !« Capelli boxte ihm auf den Oberarm. »Natürlich nicht!« Ihre Reaktion war vielleicht ein wenig übertrieben, aber den Schlag hatte er auf jeden Fall verdient, fand sie.
»Warum denn nicht? Der Chefinspektor ist doch eine gute Partie!« Lorentz rieb sich den Arm.
»Er ist furchtbar nett, und das mit dem Kochen stimmt auch, aber ich stelle mir meinen Zukünftigen eher ein wenig, na ja ...«, sie suchte nach dem richtigen Wort, »... ein wenig athletischer vor.«
»Das ist so typisch bei euch Frauen«, motzte Lorentz unversehens. »Ihr fordert uns Männer immer auf, auch auf die inneren Werte zu achten – aber haltet euch selbst nicht dran!« Eigentlich hatte er sich vorgenommen, sich den Rest des Abends in vornehmer Zurückhaltung zu üben, aber er konnte sich einfach nicht zusammenreißen.
»Natürlich sind die inneren Werte am wichtigsten«, protestierte Capelli, »aber ...«
»Aber was?«, fragte Lorentz im selben Augenblick, in dem Morell das Wohnzimmer betrat.
» AUS «, sagte der Chefinspektor energisch. »Ich dachte, wir hätten das geklärt und alle Streitereien beigelegt.«
Als sowohl Capelli als auch Lorentz kleinlaut nickten, stellte er den Wein und drei Kristallgläser auf den Tisch, ließ sich in einen dick gepolsterten Sessel fallen und schenkte ein. Er musterte seine beiden Gäste. Da saß er nun am offenen Kamin mit einer guten Flasche Wein und verbrachte den Abend mit einer kauzigen Gerichtsmedizinerin und einem überheblichen Forscher. Es war tatsächlich nichts mehr beim Alten. Er schüttelte den Kopf. »Na dann
Prost, auf dass wir das Rätsel lösen und herausfinden, wer unserem Herrn Lorentz hier so einen bösen Streich gespielt hat.«
»Also, dann ans Werk«, sagte Lorentz und las vor: »Robur – Pendula – Aucuparia. Klingt wie Latein. Hast du irgendwo ein Wörterbuch?«
»Ja«, sagte Morell. »Ich hab noch irgendwo auf dem Speicher einen alten Stowasser aus der Unterstufe.« Er quälte sich aus seinem bequemen Sessel und verließ erneut das Zimmer.
Zwischen Capelli und Lorentz herrschte eisiges Schweigen, und beide waren froh, als Morell einige Minuten später mit einem ziemlich abgegriffenen Buch wieder zurück ins Wohnzimmer kam.
»Gut, ich schlage nach.« Lorentz griff nach dem Wälzer. »Wie war das erste Wort?«
»Robur«, sagte Capelli.
» Ri ... Roba ... Robe ... Robur – hier haben wir es ja. Robur bedeutet übersetzt so viel wie ›Kern, Kraft, Stärke, Festigkeit‹. Also bei mir klingelt noch nichts«, sagte Lorentz. »Bei euch?«
Beide schüttelten den Kopf.
»Ich sehe einmal nach, was der zweite Begriff bedeuten soll. Pendula, oder?«
»Genau«, sagte Morell. »Wen hattest du in Latein?«
»Melitzer«, sagte Lorentz, während er blätterte. »Der hat mir das Leben echt zur Hölle gemacht.«
Morell lachte. »Den hatte ich zum Glück nur ein Jahr lang, dann haben wir die alte Bernauer gekriegt.«
»Ah, hier haben wir es ja schon«, unterbrach Lorentz das Geplänkel über ehemalige Lehrer. »Pendula kann man mit ›hängend, geneigt, schief, schwankend, ungewiss‹ übersetzen.«
»Sagt mir auch nichts«, meinte Morell.
»Na ja«, warf Capelli ein. »Wenn du stark oder kräftig bist, dann ist die Zukunft noch schwankend oder ungewiss. Vielleicht soll es heißen, dass man sein Schicksal noch
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