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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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wenden kann.«
    Lorentz runzelte die Stirn. »Na ja, nicht schlecht. Aber wenn ich daran erinnern darf: Wir suchen nach einer Verbindung, einem gemeinsamen Nenner. Genauso wie bei den vorherigen Zeilen.«
    »Ist ja schon gut, Herr Oberlehrer«, gab Capelli pikiert zurück. »Ich wollte ja nur helfen!« Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
    »Ruhe, Kinder«, sagte Morell, der sich in der Zwischenzeit das Wörterbuch genommen hatte. »Ich habe den dritten Begriff. Aucupor: ›Jagd machen, nach etwas haschen, lauern‹.«
    Alle drei schwiegen. Lorentz schluckte schwer, Capelli nippte an ihrem Weinglas, und Morell lehnte sich in seinem Sessel zurück.
    »Klingt irgendwie bedrohlich«, brach Capelli das Schweigen.
    »Da muss ich dir recht geben«, sagte Morell, und auch Lorentz, der wieder ganz blass geworden war, nickte.
    In der Küche ertönte ein Poltern.
    »Scheiße«, schrie Lorentz. »Was war das?«
    »Das war sicher nur Fred«, meinte Morell und ging zur Tür. Als er sie öffnete, spazierte tatsächlich der Kater seelenruhig ins Wohnzimmer.
    »Oh je, ich hätte mir vor Schreck fast in die Hose gemacht! Komm her, du Bösewicht.« Capelli hiefte Fred auf ihren Schoß. Während sie ihn kraulte, begann er laut zu schnurren.
    »So, Leute«, sagte Morell, »zurück zum Rätsel.«
    »Ich kann beim besten Willen keinen gemeinsamen Nenner erkennen«, sagte Capelli. »Vielleicht gibt es einfach keinen.«
    »Ich bin mit meinem Latein auch am Ende – im wahrsten Sinne des Wortes«, meinte Lorentz.
    »Pst«, zischte Morell und hob eine Hand, um die beiden zum Schweigen zu bringen. »Mir kommen die Begriffe auf einmal irgendwie bekannt vor. Irgendwo habe ich sie vor kurzem schon einmal gehört, mir fällt aber nicht ein, wo.«
    »Bei der alten Bernauer im Lateinunterricht?«, fragte Lorentz.
    »Ich sagte ›vor kurzem‹, nicht vor einhundert Jahren.« Der Chefinspektor nahm noch einen Schluck Wein und massierte seine Schläfen. Capelli und Lorentz sahen ihn erwartungsvoll an.
    »Wenn ihr mich weiter so anstarrt, dann fällt es mir ganz bestimmt nicht ein!«
    »Gut«, sagte Capelli, »dann räume ich jetzt die Küche auf, und unser Herr Doktor hier wird mir dabei helfen.«
    Noch bevor Lorentz protestieren konnte, hatte sie ihn schon am Ärmel gepackt und hochgezogen.
    »Au, vorsichtig«, jammerte er. »Ich bin heute auf meine Hand gefallen, das tut noch ganz schön weh.«
    »Sei doch nicht so wehleidig«, sagte Capelli. Da sie nicht schon wieder streiten wollte, schob sie ein Friedensangebot nach. »Ich bin ja Medizinerin. Wenn du magst, kann ich mir deine Hand nachher einmal ansehen.«
    »Medizinerin ja – aber keine Ärztin«, neckte Lorentz, der mit der direkten Art von Capelli einfach nicht klarkam.
    »Jetzt halt aber den Mund«, entfuhr es ihr. »Und überhaupt: Otto braucht Ruhe, und du kannst dich ruhig ein wenig nützlich machen.«
    Lorentz schaute Capelli an und verdrehte die Augen. Kein Wunder, dass sie Gerichtsmedizinerin geworden war. So eine kleine Zicke auf lebende Patienten loszulassen, wäre ein Verstoß gegen die Menschenrechte gewesen.
    Er folgte ihr in die Küche, wo er widerstrebend anfing, den Geschirrspülautomaten einzuräumen. ›Frauen‹, dachte Lorentz, ›machen nichts als Ärger.‹ Dabei musste er unvermittelt wieder an Iris denken. Er hatte immer noch ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber, aber da war noch etwas anderes. Da war dieser kurze Moment der Vertrautheit gewesen. Es war so wie vor vielen Jahren gewesen, bevor sich alles zwischen ihnen zum Schlechten gewandt hatte. Er würde morgen einmal bei ihr vorbeischauen und nach dem Rechten sehen.
    »Kanntest du den Toten gut?«, riss Capelli ihn aus seinen Gedanken.
    Lorentz nickte. »Ja, wir waren sogar einmal die besten Freunde, aber er wollte nach dem Abitur lieber hierbleiben, und ich bin nach Wien gezogen, na ja ...«
    »Ja, ich kenn das«, sagte Capelli, während sie den Tisch abwischte. »Ich bin selbst in einem kleinen Dorf aufgewachsen und erst spät nach Innsbruck gezogen. Das Leben in der Stadt verändert einen, und irgendwann hat man den Leuten, die daheimgeblieben sind, nichts mehr zu sagen.«
    Lorentz nickte zustimmend, konnte aber nichts mehr erwidern, da Morell plötzlich in die Küche gerannt kam, wobei sein voluminöser Bauch auf und ab hüpfte. Ohne die beiden zu beachten, riss er ein Türchen unter der Spüle auf und holte einen Stapel Altpapier heraus. Er begann, die verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften

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