Die Zahlen Der Toten
»Der Mörder ist möglicherweise noch in der Gegend, wahrscheinlich mit einem Schneemobil.«
Detrick spricht in sein Funkgerät. »Schließt einen weitläufigen Ring um Miller’s Pond. Rockridge Road, Folkerth Road, County Road Fourteen. Gesuchter fährt möglicherweise ein Schneemobil.« Er befestigt das Funkgerät am Gürtel und wendet sich seinen Deputys zu. »Sichern Sie den Bereich hier mit Absperrband.« Er sieht mich kopfschüttelnd an. »Ich bin, so schnell es ging, gekommen.«
»Das weiß ich zu schätzen. Wir können jede Hilfe brauchen.«
Beim Anblick von Johnston hebt er die Brauen.
»Seine Tochter«, sage ich leise.
»O nein.« Detrick legt ihm die Hand auf die Schulter und drückt sie. »Das tut mir ja so leid, Norm.« Er sieht mich an. »Ich kann hier übernehmen, wenn Sie ihn nach Hause bringen wollen.«
»Danke.« Ich berühre Norms Arm. »Kann uns jemand aufs Revier fahren?«
»Kein Problem.« Detrick pfeift einen seiner Deputys herbei.
· · ·
Auf der Fahrt rufe ich Norms Frau an und bitte sie, aufs Revier zu kommen. Mein Wunsch macht ihr Angst, aber ich werde ihr die Nachricht vom Tod ihrer Tochter nicht per Telefon überbringen. Ich hoffe nur, dass sie es von niemand anderem erfährt.
Im Auto beruhigt sich Norm so weit, dass er mit mir reden kann. Ich erfahre, dass er Brenda zuletzt gestern Abend gegen einundzwanzig Uhr gesehen hat. Heute Morgen hatte er sie angerufen und eine Nachricht hinterlassen, doch sie hatte nicht zurückgerufen. Brenda wohnte allein und arbeitete als Büroleiterin in einer Arztpraxis in Millersburg. Bei einem Anruf in der Praxis erfahre ich, dass sie heute Morgen nicht gekommen ist, sehr ungewöhnlich für die verantwortungsbewusste junge Frau. Ich schließe daraus, dass der Mörder sie gestern Abend erwischt haben muss, was mir einen zeitlichen Rahmen gibt.
Als wir aufs Polizeirevier kommen, sieht Lois von der Telefonanlage auf. Bei Norms Anblick weiten sich ihre Augen, und sie formt in meine Richtung die lautlose Frage:
Was ist passiert?
Ich schüttele den Kopf, was sie akzeptiert. »Rufen Sie Pfarrer Peterson an und bitten Sie ihn zu kommen. Wenn Mrs Johnston eintrifft, schicken Sie sie gleich zu mir ins Büro.«
Ihr Blick klebt noch immer an Norm. »Mach ich.«
Norm geht wortlos in mein Büro. Er weint zwar nicht mehr, aber sein Leid ist offensichtlich. Ich hätte gern ein paar Minuten, um meine Fassung wiederzugewinnen, will ihn aber nicht allein lassen und folge ihm, sehe zu, wie er neben meinem Schreibtisch auf den Besucherstuhl sinkt.
Der Kaffee von letzter Nacht sitzt wie Schlamm in der Kanne. Ich schenke mir eine Tasse ein, hätte aber lieber was Stärkeres. Als ich am Schreibtisch sitze, hole ich einen neuen Block, ein Formblatt für die Fallbeschreibung und eines für die Zeugenaussage aus der Schublade. »Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen, Norm.«
»Ich kann nicht glauben, dass sie tot ist.« Er sieht mir in die Augen. »Sie war mein Ein und Alles. Das Beste, was ich je vollbracht habe.«
Ich finde keine tröstenden Worte, bin der Situation nicht gewachsen. Aus lauter Verlegenheit nehme ich den Stift und starre auf den Block. Als die Glocke der Eingangstür die Ankunft seiner Frau Carol ankündigt, überkommt mich die Angst. Mein Herz schlägt heftig, ich sitze da und lausche dem nahenden Klacken von Absatzschuhen.
Dann steht Carol Johnston in der Tür, in einem grünen Swing Coat mit Kunstpelzkragen. Ihr Blick huscht von mir zu Norm und wieder zu mir. Sie ist zierlich, Mitte fünfzig, sieht aber zehn Jahre jünger aus.
»Was ist passiert?«, fragt sie.
Ich habe das Bild ihrer zuvor schönen Tochter vor Augen, wie sie im Schnee liegt, den Körper zerstückelt, und möchte am liebsten weinen.
Stattdessen stehe ich auf. »Ich fürchte, ich muss Ihnen eine furchtbare Nachricht überbringen.«
»Was für eine Nachricht?« Sie blickt ihren Mann an, und ich sehe die plötzliche Angst in ihren Augen. »Wovon redet sie?«
»Brenda ist tot«, sage ich.
»Was?«
Die Frau sieht mich an, als hätte ich sie in den Solarplexus geboxt. »Das kann nicht sein.«
Norm erhebt sich wie ein gebeugter alter Mann mit Arthrose. »Carol.«
»Nein!«, schreit sie und schlägt beide Hände so heftig vors Gesicht, dass ich es klatschen höre. Sie wirbelt herum, krümmt sich und stößt ein langgezogenes Neeeiiiin aus. Und wieder: »Neeeiiiin.«
Ich möchte die Hände auf die Ohren drücken, um ihre qualvollen Schreie nicht hören zu müssen, und weil
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