Die Zahlen Der Toten
haben Sie mit ihr geredet?«
»Weiß ich nicht mehr.«
»Vielleicht hilft eine Fahrt zum Polizeirevier Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge.«
Er blickt panisch zur Tür. »He, Mann –«
»Ich bin kein Mann«, fahre ich ihn an. »Ich bin Polizistin. Und hören Sie auf, sich wie ein Idiot zu benehmen, und beantworten Sie meine Fragen.«
»Okay.« Er hebt beide Hände. »Also gut, ich hab sie angemacht. Wir haben geflirtet, aber mehr nicht, ich schwör’s.«
Glock sieht sich derweil in der Werkstatt um, wirft einen Blick in die Mülltonne und öffnet einen Werkzeugkasten. Ich bin dankbar, dass er mitgekommen ist. Scott Brower gefällt mir nicht, ich misstraue ihm. Und ich könnte wetten, dass sich hinter diesem Kindergesicht ein widerliches Ekel verbirgt.
»Haben Sie manchmal Wutanfälle, Scotty?«
Sein Blick signalisiert Vorsicht. »Manchmal. Wenn mich jemand verarschen will.«
»Hat Amanda Sie verarscht?«
»Nein.«
»Hat Ihre Chefin bei Agri-flo Sie verarscht?«
Sein Gesicht verdüstert sich. »Ich hab keine Ahnung, wovon Sie reden.«
»Sie haben gedroht, ihr die Kehle durchzuschneiden. Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor?«
»Ich hab’s nicht gemacht, Mann.«
»Ich hab Ihnen gesagt, reden Sie mich nicht so an.«
Sein Kindergesicht verzieht sich zu einer hässlichen Fratze, lässt seinen wahren Charakter durchscheinen. Er wird unruhig. Ich hab ihn da, wo ich wollte. »Was soll das alles?«, fragt er.
»Um wie viel Uhr haben Sie das Brass Rail Samstagabend verlassen?«
»Ich weiß es nicht. Mitternacht. Vielleicht eins.«
»Besitzen Sie ein Messer?«
Er blickt sich um, ein Fuchs, der gleich von Jagdhunden zerrissen wird. »Ich glaube ja.«
»Was soll das denn heißen? Sie wissen es nicht? Sie erinnern sich nicht? Sie müssen doch wissen, ob Sie ein Messer besitzen oder nicht.«
Glock geht dicht hinter ihm vorbei. »Vielleicht versuchen Sie’s mal mit Ginkgopillen, Kumpel, soll gut fürs Gedächtnis sein.«
Brower grinst höhnisch. »Ist ja gut. Ich hab eins … bloß ’ne Weile nicht gesehen.«
»Haben Sie’s verloren? Oder vielleicht entsorgt?«
»Also wahrscheinlich liegt’s irgendwo bei mir zu Hause rum.«
Ich sehe Glock an. »Wir brauchen wohl einen Durchsuchungsbeschluss.«
»Sieht so aus«, erwidert er.
Brower blickt von mir zu Glock und wieder zu mir. »Warum behandelt ihr mich so beschissen?«
»Weil ich das darf. Weil Sie schlecht riechen. Weil ich glaube, dass Sie ein lügendes Stück Scheiße sind. Brauchen Sie noch mehr Gründe?«
Er starrt mich an, das Gesicht jetzt tiefrot. »So dürfen Sie nicht mit mir reden.«
Ich blicke über meine Schulter hinweg Glock an. »Hab ich irgendwas Unangemessenes gesagt?«
»Vielleicht ist er sensibel, Chief.«
»Leck mich«, zischt Brower in Glocks Richtung. »Scheiß Niggerbulle.«
Glock lacht nur. Doch mir reicht’s. Ich hasse nichts mehr als Rassisten. Selbst wenn der Typ Amanda Horner nicht umgebracht hat, ist er ein übler Scheißkerl. Ich werde ihm den Tag versauen. Die Woche. Den ganzen Monat, wenn ich’s schaffe. »Tragen Sie irgendwelche Waffen bei sich, Scotty?«
»Nein.« Er versenkt die Hände in den Hosentaschen.
»Lassen Sie die Hände da, wo ich sie sehen kann.«
Er ignoriert meine Anweisung, tritt stattdessen einen Schritt zurück, um Raum zwischen uns zu schaffen. Ich lege die Hand auf den Schlagstock an meinem Gürtel, würde ihm gern einen kleinen Stromschlag verpassen, aber Elektroschockpistolen sind im Budget von Painters Mill nicht drin. »Ich sage es nicht noch mal.«
Als mir klar wird, dass er meiner Aufforderung nicht nachkommt, fängt mein Herz an zu rasen. Adrenalin durchflutet meinen Körper mit solcher Gewalt, dass ich bebe. Ich trete auf ihn zu und er haut ab.
Glock und ich rennen gleichzeitig los wie zwei Sprinter nach dem Startschuss. Brower ist beweglich und schnell. Er fegt durch die Hintertür, kippt uns dabei ein Regal vor die Füße und spurtet auf eine Gasse zu.
Ich mache einen Satz über das Regal und folge ihm durch die Tür. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Glock stolpert und hinfällt, doch mein Blick bleibt auf Brower geheftet: blauer Overall, die Arme angewinkelt, ab und zu ein Blick über die Schulter. Der Boden ist glitschig vom Schnee, ich rutsche aus, fange mich aber wieder und laufe weiter. Hinter mir schreit jemand, doch ich konzentriere mich zu sehr auf die Verfolgungsjagd, um es zu verstehen.
Zu meiner Überraschung hole ich auf. Ich stelle mir vor, wie ich ihn
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