Die Zahlen Der Toten
halte seinem Blick stand. »Alle Mitarbeiter der Dienststelle arbeiten an dem Fall und sind verpflichtet, Überstunden zu machen. Wir ermitteln rund um die Uhr. Wir nutzen das BCI -Labor sowie mehrere Polizeidatenbanken.«
Janine unterbricht mich. »Gibt es schon einen Verdächtigen?«
»Nein.« Ich wende mich ihr zu. »Der Fall ist erst zweiunddreißig Stunden alt.«
»Wie ich höre, haben Sie Scott Brower verhaftet«, sagt Norm.
Wieder einmal bin ich überrascht, wie schnell Neuigkeiten in dieser Stadt die Runde machen. »Er ist für uns von Interesse.«
Norm Johnston rollt die Augen. »Heißt das, er ist ein Verdächtiger?«
Mit so wenig Aufhebens wie möglich erzähle ich die Einzelheiten von Browers Verhaftung.
Janine Fourman steht auf. »Chief Burkholder. Diese Stadt kann es sich nicht leisten, Touristen zu verlieren. Wenn die Leute hier nicht einkaufen gehen, tun sie’s in Lancaster County. Ist Ihnen überhaupt klar, wie lange und hart wir daran gearbeitet haben, aus Painters Mill eine Touristenstadt zu machen?«
Sie blickt sich im Kreise ihrer Amtskollegen um, die alle wie hirnlose Wackelkopfhunde nicken. »Die Einwohner von Painters Mill zu schützen heißt auch, für eine stabile Ökonomie zu sorgen.«
Norm Johnston hebt beide Hände, ein Dirigent, der seine Musiker zum Schweigen bringt. »Kate, wir wissen, dass Ihre Mittel aufgrund des beschränkten Etats und Personalkontingents limitiert sind. Aber ehrlich gesagt sind wir nicht überzeugt, dass Sie genügend … Erfahrung für so einen Fall haben.«
Seine Worte schwingen in meinem Kopf wie eine Stimmgabel, die an ein Mikro gehalten wird. Ich hatte gewusst, dass dieser Moment kommen würde, und doch verknotet sich mein Magen bei seinen Worten.
Janines Augen leuchten wie die einer Ratte, die gerade den Käse aus der Falle geklaut hat, ohne zerquetscht zu werden. »Nehmen Sie es nicht persönlich, aber wir haben für Unterstützung durch eine andere Behörde gesorgt.«
Mein Herz schlägt wie wild und meine Achseln sind triefnass. Die Furcht sitzt mir wie ein Eisblock im Bauch. Ich habe die Kontrolle über den Fall verloren, etwas anderes kann ich momentan nicht denken. »Was heißt das?«
Wie aufs Stichwort geht die Tür hinter mir auf. Ich drehe mich um und sehe einen dunkelhaarigen Mann eintreten, dessen langer schwarzer Mantel verrät, dass er nicht aus dieser Gegend stammt. Von der Presse kommt er auch nicht, denn ein Blick in seine Augen verrät mir, dass er ein Cop ist.
Einen Moment lang fühle ich mich wie nackt, als würden die Gefühle, die in mir toben, für alle sichtbar sein. Ich frage mich, von welcher Behörde. Der konservative Anzug deutet auf das FBI , aber er könnte genauso gut von einer staatlichen Dienststelle kommen. Beides ist gleich schlecht.
»Kate.« Der Bürgermeister reißt sich von seinem Bagel los und steht auf. »Ich möchte Ihnen Agent John Tomasetti vom BCI vorstellen.«
Ich mache keine Anstalten, auf ihn zuzugehen und seine Hand zu schütteln.
Der Bürgermeister wendet sich leicht errötend dem Mann zu. »Agent Tomasetti, das ist die Leiterin unserer Polizeidienststelle, Kate Burkholder.«
Er kommt mit ruhigem Blick auf mich zu. Sofort fallen mir mehrere Dinge auf: Die Augen unter den dicken Brauen sind dunkel und hart wie schwarzer Granit; er hat das emotionslose Gesicht eines Pokerspielers, ist schätzungsweise um die vierzig und sieht mich an wie einen Kabarettisten, dessen Witze beim Publikum nicht ankommen. Ich will ihn nicht hier haben, und er weiß das. Aber ich kann absolut nichts dagegen tun, und diese Machtlosigkeit bereitet mir Angst.
»Chief Burkholder.« Er hält mir die Hand hin. »Klingt ganz so, als hätten Sie jede Menge zu tun.«
Ich schüttele seine warme, trockene und etwas raue Hand. Sein Händedruck ist kräftig, aber nicht zu fest. »Es ist ein schwieriger Fall«, höre ich mich sagen.
Die schwarze Reisetasche über seiner Schulter sagt mir, dass er gerade erst in der Stadt eingetroffen ist. Unter diesen Umständen sollte ich ihm danken, dass er gekommen ist, und anbieten, ihn zum Revier zu fahren. Dort sollte ich ihn meinem Team vorstellen und kurz über den Fall informieren. Und um der polizeilichen Etikette Genüge zu tun, sollte ich ihn danach zum Abendessen einladen, ein paar politisch unkorrekte Witze machen und Kriegsgeschichten erzählen, ein bisschen zu viel trinken. Ich weiß, es ist kleinkariert, unprofessionell und letztlich ein Eigentor, aber nichts dergleichen werde
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