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Die Zahlen Der Toten

Die Zahlen Der Toten

Titel: Die Zahlen Der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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Leberfleck innen am linken Knöchel gesehen und vermerkt.«
    Ich schließe kurz die Augen, dann erzähle ich ihm von den Augspurgers.
    »Gott stehe ihnen bei«, sagt er.
    »Sie wollen sie bestimmt gleich sehen und mit nach Hause nehmen. Sind Sie mit der Autopsie fertig?«
    »Ich tippe gerade den Bericht.«
    »Können wir uns treffen?«
    »Sicher. Ich brauche eine halbe Stunde.«
    Ich lege auf, stehe einfach nur da und starre das Telefon an. Es ist egoistisch von mir, aber ich will nicht zurück in das Klassenzimmer und Ezra und Bonnie Augspurger die furchtbare Nachricht überbringen.
    »Sie ist es«, sage ich zu Glock.
    »Verdammt.« Sein Blick schweift über den Korridor, dann zurück zu mir. »Soll ich mit reinkommen?«
    Ich schüttele den Kopf. »Fahren Sie raus zu den Augspurgers, vielleicht finden Sie ja was. Pickles und Skid müssten schon dort sein.«
    »Und was ist mit dem Anzugträger?«
    Als mir klar wird, dass er Tomasetti meint, muss ich ein Lächeln unterdrücken. »Den nehme ich mit.«
    »Behalten Sie ihn im Auge. Der Typ hat einen verschlagenen Blick.«
    »Mach ich.« Ich atme tief durch und gehe zurück ins Klassenzimmer.

18. Kapitel
    Als ich das Zimmer betrete, stehen die Augspurgers verängstigt am hinteren Fenster und starren mich an, als hielte ich den Schlüssel zur Welt in der Hand. Auch Tomasetti sieht mir erwartungsvoll entgegen.
    Ezras Blick ist flehentlich. Bonnie bricht amische Verhaltensregeln und drängt sich an ihren Mann. In ihren hellen Augen erkenne ich Verzweiflung und Hoffnung, verbunden mit einer Angst, die jeder Mutter erspart bleiben sollte.
    »Heute Morgen wurde die Leiche einer jungen Frau gefunden.« Ich reiche Ezra das Foto. »Sie hat einen Leberfleck am linken Knöchel.«
    Zitternd nimmt er das Blatt Papier. Bonnie legt die Hand auf den Mund, doch der schmerzvolle Laut, der ihm entfährt, wird dadurch nicht gedämpft. Ezra starrt das Foto auf dem zitternden Blatt an.
    Ein Mord ist selten in der amischen Gemeinde. Die meisten Mitglieder sterben eines natürlichen Todes, wobei der Tod als endgültige Hingabe zu Gott betrachtet und mit Würde angenommen wird. Kummer findet leise und in der Privatsphäre seinen Ausdruck. Doch der Laut, der jetzt aus Ezra Augspurgers Mund bricht, erinnert mich daran, dass nicht alle Amischen stoisch sind. Es sind Menschen wie andere auch, und der Verlust eines Kindes bereitet unerträglichen Schmerz. Sein grimmiger, kummervoller Schrei durchdringt mich wie kalter Stahl. Er neigt den Kopf und presst das Foto an seine Wange.
    »Es tut mir leid.« Ich berühre Ezras Schulter, doch er reagiert nicht.
    Bonnie sinkt auf einen Stuhl und vergräbt ihr Gesicht in den Händen. Ich spüre, wie mich meine eigenen Gefühle übermannen, und wende mich ab, nur um festzustellen, dass Tomasetti mich eindringlich ansieht. Sein Gesicht ist ernst, doch er ist lange nicht so erschüttert, wie ich es bin. Aber er weiß auch nicht, wie freundlich Ellen Augspurger gewesen ist. Er kennt diese Gemeinde nicht. Die Gutherzigkeit der Amischen, die ich auch selbst erlebt habe, ist ihm vollkommen fremd.
    Ich stelle mir vor, wie dieses vom Kummer überwältigte Ehepaar ins Leichenschauhaus fährt, male mir ihre Fragen aus und weiß bereits, wie schwer mir die Antworten fallen werden. Sie werden Ellens Leichnam mit nach Hause nehmen wollen, sie weiß einkleiden und in einen einfachen Holzsarg legen. Ich werde sie darüber informieren müssen, dass man eine Autopsie vorgenommen hat, eine Maßnahme, die elementare amische Werte verletzt, doch sie werden sich nicht beklagen.
    »Wie ist sie gestorben?« Ezras leidvoller Blick bohrt sich in meine Augen.
    »Sie wurde ermordet«, antworte ich.
    Bonnie ringt um Luft. »Mein Gott.«
    Ezra starrt mich an, als würde ich lügen. Ich kenne ihn fast mein ganzes Leben lang, er ist ein anständiger, hart arbeitender Mann, der bereits mehr als genug Leid erfahren hat. Aber ich weiß auch, dass er zu Jähzorn neigt.
    »Das akzeptiere ich nicht.« Obwohl der Raum kalt ist, steht ihm der Schweiß auf der Stirn, und auf seinem Hals breiten sich rote Flecken aus.
    »Es tut mir leid«, bringe ich hervor.
    Er beugt den Kopf nach vorn, legt die Finger auf die Stirn und drückt so fest, als wolle er sich die Nägel in die Haut graben.
    »Ezra, wer ist der Bischof in eurem Bezirk?«, frage ich.
    »David Troyers.«
    Ein Kirchenbezirk besteht aus zwanzig bis dreißig Familien, in dem sich ein Bischof, zwei oder drei Prediger und ein Diakon die

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