Die Zahlen Der Toten
nicht leicht, die Detective-Prüfung zu schaffen, Chief. Was hat Sie dazu bewogen, so eine ruhmreiche und karriereträchtige Position gegen die Polizeiarbeit in einer Kleinstadt einzutauschen?«
Ich zucke die Schultern, bin leicht verunsichert. »Ich bin hier geboren.«
Er nickt, als würde er das verstehen. »Wieso sprechen Sie fließend deutsch?«
Er meint das Gespräch mit den Augspurgers. »Das ist Pennsylvaniadeutsch.«
»Eine merkwürdige Sprache.«
»Die Amischen sprechen sie.«
»In diesem Teil von Ohio gibt es sehr viele Amische.« Ich spüre, dass er mich prüfend ansieht, sich wundert.
»Inzwischen leben mehr Amische in Ohio als in Pennsylvania.« Eine Statistik, die ihm wahrscheinlich vollkommen egal ist.
»Dann wird hier im College Pennsylvaniadeutsch angeboten, oder was?«
»Meine Eltern haben es mir beigebracht.«
Ich sehe, wie sein Verstand arbeitet. Er weiß nicht, wie er die Information einordnen soll – wie er mich einordnen soll. Unter anderen Umständen hätte ich die Situation genossen. Er will nicht fragen. Aber einem Mann wie John Tomasetti dürfte
political correctness
egal sein. Als er es schließlich ausspricht, steigt er in meiner Achtung: »Sie sind also eine Amische, ja?«
»War.«
»Wow. Johnston hat erwähnt, dass Sie Pazifistin sind.«
»Für den Fall, dass Sie nicht zwischen den Zeilen lesen können, Johnston redet nur Scheiße.«
»Das hab ich schon kapiert.« Er stößt einen Pfiff aus. »Eine waffentragende, fluchende, ehemals amische Polizeichefin. Ich fass es nicht.«
· · ·
Zum Glück sind bei unserer Ankunft die Parkplätze vor dem Polizeirevier nicht belegt. Mona sitzt zurückgelehnt in der Zentrale, die hochhackigen Stiefel auf dem Schreibtisch. In der einen Hand hält sie einen halb gegessenen Apfel, in der anderen ein Buch über forensische Wissenschaft mit einem CSI -ähnlichen Cover. Ihr Fuß wippt im Takt eines Pink-Floyd-Remix, den sie so laut aufgedreht hat, dass sie uns nicht kommen hört.
»Sieht so aus, als hätte die Nachtschicht auch ihre Vorteile«, sage ich.
Das Buch klappt zu und der Apfel fällt ihr aus der Hand. Die Stiefel gleiten vom Schreibtisch. »Hallo, Chief.« Zu meiner Überraschung errötet sie. »Von dem Buch krieg ich ’ne Gänsehaut.« Sie hält mir die Telefonzettel hin. »Bis vor ungefähr zwanzig Minuten hat das Telefon nonstop geklingelt.«
»Irgendwann müssen die Leute wohl schlafen.«
»Gott sei Dank. Inzwischen rufen absolut Verrückte an. Ein Medium aus Omaha behauptet, sie wäre in ihrem ersten Leben ein Opfer des Schlächters gewesen. Oh, und so ein Spinner aus Columbus wollte Ihnen sagen, dass Sie als amische Frau nicht Polizistin sein sollten.« Sie zerknüllt den rosa Zettel und wirft ihn in den Papierkorb. »Ich hab ihn geradegerückt.«
»Danke.« Ich nehme die Zettel. »Sind Sie so nett und machen uns Kaffee?«
»Ich kann auch einen gebrauchen.« Ihr Blick fällt auf Tomasetti – und bleibt hängen. Ich sehe, wenn eine Frau Interesse an einem Mann hat, doch jetzt bin ich überrascht. Tomasetti ist nicht gerade ein schöner Mann. Seine Augen sind zu stechend, sein Mund ist zu schmal und die Nase höckerig. Er ist wahrscheinlich nur knapp über vierzig, aber er hat die Falten eines älteren Mannes mit einem harten Leben.
Was finden junge Frauen an Männern, die ihr Vater sein könnten? »Mona, das ist John Tomasetti vom BCI in Columbus.«
Er reicht Mona die Hand. »Es freut mich, Sie kennenzulernen.«
Sie schütteln sich die Hände, wobei Mona übers ganze Gesicht strahlt. »Wir sind froh, Sie bei uns zu haben.«
Ich rolle die Augen und begebe mich in mein Büro, ziehe die Jacke aus und werfe den Computer an. Dann telefoniere ich mit Glock. »Irgendwas über Lapp?«, frage ich.
»Nix.
Entweder er hält seine Weste sauber oder er ist tot.«
»Graben Sie weiter.« Glock hat das sicher nur so hingesagt, beschwichtige ich mich; er kann gar nicht wissen, dass Lapp tot ist. Wenn er tot ist. »Habt ihr irgendwas bei den Augspurgers gefunden?«
»Es gab ein paar alte Reifenspuren, die aber durch den Neuschnee und die Verwehungen so gut wie unkenntlich waren.«
»Konnten Sie trotzdem Abdrücke nehmen?«
»Nein, Fehlanzeige. Entweder der Kerl hat Glück oder er kennt sämtliche Tricks von uns.« Er hält inne. »Wir haben Leute befragt, aber keiner hat was gesehen. Der Kerl ist ein verfluchter Geist.«
Tomasetti kommt mit zwei Bechern Kaffee in mein Büro. Ich bedeute ihm, sich zu setzen. »Danke für
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