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Die Zahlen Der Toten

Die Zahlen Der Toten

Titel: Die Zahlen Der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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»Ihre Entscheidung.«
    »Zum Bahnhof bitte.«
    »Sind Sie ein Nachtschwärmer?«
    Er verzieht den Mund. »Ich leide unter Schlaflosigkeit.«
    Obwohl ich mit vielen verschiedenen Menschen zu tun habe, verunsichert mich Tomasetti. Ich möchte mir einreden, gegen seinen seltsam durchdringenden Blick immun zu sein, doch das gelingt mir nicht. Jedenfalls nicht heute Nacht, wo mir die eigenen Geheimnisse durch den Kopf spuken.
    »Wer hat Sie angerufen?«, frage ich nach einer Weile.
    Er antwortet mit der Nonchalance eines Mannes, der an einem sonnigen Tag übers Wetter spricht. »Norm Johnston. Der Bürgermeister. Und die Frau mit dem großen Mund.«
    Janine Fourman. Fast hätte mir seine treffende Beschreibung ein Lächeln entlockt. »Die drei Musketiere.«
    »Wollen die Sie loswerden?«
    »Sie wollen, dass sich die Morde in Luft auflösen.«
    »Wurden Sie deshalb nicht über mein Kommen informiert?«
    Ich sehe ihn finster an. »Sie haben mich nicht informiert, weil sie Angst haben, dass die Morde die Touristen vertreiben.«
    »Ich bin froh, dass Sie mich aufgeklärt haben«, sagt er.
    Sein sarkastischer Unterton nervt mich. Im Laufe der Jahre bin ich vielen Polizisten wie ihm begegnet. Meistens Veteranen. Älter. Sie besitzen zwar Erfahrung, doch ihnen ist die Menschlichkeit abhandengekommen, um ein guter Cop zu sein. Je mehr sie sehen, desto weniger fühlen sie. Ihr Job ist ihnen zunehmend egal. Sie werden zynisch, bitter und teilnahmslos. Ihretwegen haben Polizisten einen schlechten Ruf.
    »Wie lange leiten Sie die Dienststelle schon?«, fragt er.
    »Zwei Jahre.«
    »Waren Sie davor auch Polizistin?«
    Ich widerstehe dem Drang, die Augen zu rollen. »Ich habe nicht als Friseurin gearbeitet, falls Sie das meinen.«
    Ein Mundwinkel geht nach oben. »Ist das Ihr erster Mordfall?«
    »Haben Sie das auch von Norm Johnston?«
    »Er sagt, Sie sind unerfahren.«
    Seine Offenheit überrascht mich. »Was hat er denn sonst noch so erzählt?«
    Er wirkt amüsiert. »Wollen Sie mich etwa aushorchen?«
    »Ich will nur die Wahrheit wissen.«
    »Die Wahrheit zu sagen bringt mir normalerweise Ärger ein.«
    »Ich habe das Gefühl, das ist Ihnen egal.«
    Er sieht einen Moment aus dem Fenster, dann wieder zu mir. »Und, wie steht’s mit Ihrer Erfahrung?«
    Ich hebe die Schulter, lasse sie fallen. »Ich hab in Columbus gearbeitet. Sechs Jahre bei der Streife. Zwei als Detective bei der Mordkommission.«
    Selbst im düsteren Licht des Armaturenbretts kann ich sehen, wie seine Braue hochgeht. »Davon haben die mir nichts gesagt.«
    »Hab ich auch nicht erwartet. Und was haben Sie gemacht?«
    »Drogenfahndung, meistens.«
    »Detective?«
    »Yeah.«
    »Seit wann?«
    »Seit es Dinosaurier gibt. Und falls es Ihnen noch nicht aufgefallen ist, ich bin einer davon.« Er lächelt, doch ich verkneife es mir.
    »Sie kommen mir bekannt vor«, sage ich stattdessen.
    »Ich habe mich schon gefragt, wie lange Sie noch brauchen.«
    Ich weiß nicht, wie er das meint. »Brauchen wozu?«
    »Was Pseudo-Berühmtheiten angeht, sind Sie wohl nicht auf dem Laufenden.«
    Eine vage Erinnerung kommt mir, irgendetwas in einer Zeitung oder im Fernsehen über einen Cop in Cleveland oder Toledo, dessen Familie umgebracht wurde. Jemand war gewaltsam in sein Haus eingedrungen. Ein Polizist mit Auszeichnungen, der anscheinend Selbstjustiz geübt hatte …
    Als ich Tomasetti jetzt anblicke, kann ich meine Überraschung nicht verbergen.
    »Yeah, der bin ich.« Er wirkt belustigt. »Sie haben echt Glück, was?«
    Unfähig, ihm in die Augen zu sehen, richte ich den Blick auf die Straße. »Toledo? Letztes Jahr?«
    »Cleveland«, korrigiert er mich. »Vor zwei Jahren.«
    »Ich habe die Geschichte am Rande verfolgt.«
    »Sie und der halbe Staat.«
    Ich will ihn fragen, ob er es wirklich getan hat, lasse es aber. Unter Polizisten herrschte damals allgemein die Überzeugung, dass John Tomasetti durchgeknallt war. Er hatte den Mörder seiner Familie gejagt und Rache geübt. Niemand konnte etwas beweisen, doch das hatte den Staatsanwalt nicht davon abgehalten, ihn vor eine Grand Jury zu bringen.
    »Und wie sind Sie dann beim BCI gelandet?«, frage ich nach einer Weile.
    »Der Commander wollte mich loswerden und hat mich empfohlen, und die Dummköpfe vom BCI sind drauf reingefallen.« Er schenkt mir ein freudloses Lächeln. »Sollen wir uns betrinken und darüber reden?«
    »Müssen Sie trinken, um zu reden?«
    »Meistens.«
    Eine Zeitlang schweigen wir, dann fragt er: »Es ist

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