Die Zarentochter
an, als habe sie den Verstand verloren. Olly schmunzelte. Zum ersten Mal an diesem Tag war sie nahe daran, dem Bayern beizupflichten. Marys Verhalten war wirklich übertrieben. Und wie belämmert Max von Leuchtenberg nach Marys Sprüchen dreinschaute! Er konnte doch nicht ernsthaft gehofft haben,dass Mary künftig auf irgendeinem bayerischen Landgut leben würde, oder? Olly tat der naive »Max Beau« fast ein wenig leid.
»Sie kommen also auch aus Bayern?«, wandte sie sich an ihn. »Darf ich fragen, was Sie nach Russland führt, es ist ja nicht gerade nahe gelegen.« Was für eine dumme Frage – sie wusste doch genau, warum er hier war!
Max Beau lächelte verlegen.
»Ehrlich gesagt bin ich vor allem der Begleiter meiner Mutter, eigene Pläne hatte ich nicht, als wir zu dieser Reise aufbrachen. Umso erfreulicher war es für mich, Ihre Schwester wiedersehen zu dürfen.« Dabei warf er Mary einen so unglücklichen Blick zu, dass Olly sich peinlich berührt abwandte.
Sie fand Max’ unprätentiöse Art, über seine Rolle als Begleiter seiner Mutter zu sprechen, sehr angenehm. Wahrscheinlich hätten die meisten anderen Herren in seiner Situation irgendwelche Kongresse oder Audienzen erfunden, um nicht gar zu unbedeutend zu wirken.
Max hingegen fuhr fort: »Zu Hause verpasse ich nichts, unsere Eichstätter Güter werden in meiner Abwesenheit gut geführt, wahrscheinlich sind meine Verwalter froh, ihre Ruhe vor mir zu haben.« Sein Lachen hatte etwas Entwaffnendes.
Eigentlich schade, dass aus Mary und ihm nichts werden konnte, schoss es Olly gerade durch den Sinn, als neben ihr Max von Bayerns unangenehm laute Stimme ertönte:
»Eine Einstellung, die ich nicht teile, wenn ich das anmerken darf. Meiner Ansicht nach ist es unabdingbar, dass sich unsereiner verantwortlich fühlt für die eigenen Besitztümer. Hätte ich die Arbeiten an meinem Schloss nicht Tag für Tag höchstpersönlich überwacht, wäre Hohenschwangau heutzutage noch immer eine uralte Ruine.«
Oje, nicht schon wieder! Olly verdrehte die Augen.
Sascha, der die letzte Bemerkung des bayerischen Kronprinzen sowie Ollys Reaktion darauf mitbekommen hatte, sagte lachend: »Vielleicht hättest du einen ordentlichen Architekten mit der Bauleitung beauftragen sollen, statt diese Aufgabe einem Kunstmaler zu überlassen. Dann hättest du erst gar nicht den Aufpasser spielen müssen.«
»Aberer hat seine Arbeit famos gemacht, der Domenico Quaglio! So einen Kunstmaler gab’s nur einmal, ganz famos. Wenn du auf deiner Brautschau nach München kommst, musst du meinem Hohenschwangau unbedingt einen Besuch abstatten, Alexander. Vielleicht kann ich sogar ein Treffen zwischen meinen Schwestern und dir in meinem Schloss arrangieren, sie sind schon voller Vorfreude wegen deines Besuchs.«
Über Saschas Miene flog ein Schatten, bissig sagte er: » Famos mag Quaglios Arbeit vielleicht gewesen sein, aber am Ende hat er sie mit dem Leben bezahlt. Täusche ich mich, oder ist dein Kunstmaler nicht vor Erschöpfung gestorben, bevor die Bauarbeiten beendet waren?«
Ollys Blick sprang zwischen ihrem Bruder und dem Gast hin und her. »Ihr Kunstmaler ist vor lauter Erschöpfung gestorben?« Schlagartig wurde der Bayer ihr noch unsympathischer. So einer war er also. Jemand, der nicht auf seine Leute aufpasste!
Max von Bayern nickte. »Das war ärgerlich, sehr ärgerlich. Er hätte nur noch sechs, sieben Zimmer zu machen gehabt … Natürlich war es auch äußerst schade um den Mann«, fügte er hinzu, als er die betroffenen Mienen seiner Tischnachbarn sah.
»Lasst uns anstoßen, Freunde!« Im flackernden Kerzenlicht öffnete Sascha eine Flasche Champagner und schenkte höchstpersönlich allen nach.
Die Geigenspieler, die zuvor die Tanzgruppe begleitet hatten, spielten nun zum Tanz auf. Sascha war der Erste, der von seinem Stuhl aufsprang. »Darf ich bitten?« Mit einer übertrieben tiefen Verbeugung forderte er die neben ihm sitzende Olga Kalinowski auf.
Wenigstens schien ihr Bruder im Laufe des Festes seine gute Laune wiedergefunden zu haben. Ganz so verwerflich war es anscheinend doch nicht, das Leben eines Großfürsten zu führen, dachte Olly bei sich. Kam es ihr nur so vor, oder verbrachte Sascha heute besonders viel Zeit mit Mutters polnischer Hofdame?
»Sag mal, warum ist die Kalinowski eigentlich nicht mit Mutter auf Reisen?«, raunte sie Mary ins Ohr, doch die zuckte nur mit den Schultern.
»Das musst du Sascha fragen, er wollte partout, dass ich sie ein lade.«
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