Die Zarentochter
von Schluchzern erschüttert. »Verstehst du, ich kann die Hessin nicht heiraten!«
Großfürst Michael, der neben Sascha auf einer Bank saß, legte linkisch seinen Arm um die Schultern des Neffen. »Aber Junge, vor ein paar Monaten hast du noch in deinen Briefen verkündet, die wahre Liebe gefunden zu haben.«
»Das glaubte ich auch, aber als ich dann Olga wieder gegenüberstand, war Cerise in meinem Kopf und meinem Herzen wie ausgelöscht. Als ob es sie nie gegeben hätte.«
»Dann war die ganze Reise umsonst?«
Das kann doch nicht wahr sein!, dachte Olly, als sie Saschas heftiges Nicken sah. Ihr war auf einmal so schwindlig, dass sie sich an der Wand des kleinen Badehauses festhalten musste. Sascha und die Kalinowski? Wann hatte das denn wieder angefangen? Und was war mit der Kirschprinzessin? Die arme Cerise …
Der Bruder war nirgendwo auf dem Fest zu finden gewesen, und es war schließlich Tante Helene, die den entscheidenden Hinweis gab – Sascha und Onkel Michael seien zu einem Verdauungsspaziergang zum Strand aufgebrochen.
Zum Strand? Umso besser, dort würde sie in aller Ruhe mit ihm reden können. Olly hatte sich kurzerhand auch auf den Weg gemacht.
Hoffentlich begann Grand Folie nicht ausgerechnet jetzt zu bellen, hoffte Olly, als sie noch einen Schritt weiter hinter das Badehaus zurücktrat. Doch der Hund spielte zufrieden mit einem Stück Treibholz.
Was tun? Sich heimlich wieder davonschleichen? Bisher hatte niemand sie bemerkt, so sehr waren die Männer in ihr Gespräch vertieft. Oder sollte sie aus ihrer Deckung hervorkommen und tun, als habe sie nichts gehört? Olly runzelte die Stirn. Mit ihren Fragen bezüglich Stephan brauchte sie Sascha jetzt gewiss nicht kommen.
»Ichweiß, die Hochzeit zwischen mir und Cerise ist beschlossene Sache. Aber ich kann nicht …«
O Gott, so hatte sie Sascha noch nie heulen sehen. Alles in Olly drängte danach, den Bruder tröstend in den Arm zu nehmen, aber dann hätte sie sich als heimliche Lauscherin offenbaren müssen, was ihr zu peinlich war.
»Verflixt noch mal, dann geh zu deinem Vater und trete für deine Liebe ein!«, rief Großfürst Michael und fuchtelte dabei wild mit seinem Gehstock. »Dieser elende Heiratsmarkt ist mir so zuwider, diese ganze Kuppelei sollte man ein für alle Mal abschaffen. Schau dir doch an, wohin das bei mir geführt hat. Glaubst du, ich hätte jemanden wie deine Tante Helene freiwillig geheiratet?«
Olly schlug eine Hand vor den Mund. Das war ja … Wie konnte der Onkel so etwas Gemeines sagen?
»Brauchst nicht so erschrocken zu schauen, dass unsere Ehe ein einziges Fiasko ist, weiß doch ganz St. Petersburg.« Michael schnaubte. »Glaub deinem alten Onkel, am besten klärst du die Sache so schnell wie möglich. Du bist der zukünftige Zar Russlands, du hast das Recht, dir deine Braut selbst auszusuchen, und wenn’s eine arme Polin ist.«
In Saschas tränennassen Augen blitzte ein erster Hoffnungsschimmer auf. »Meinst du wirklich?«
Großfürst Michael nickte. »Mein Bruder muss sich eben daran gewöhnen, dass sein Sohn ein Mann ist und kein Jammerlappen, der alles mit sich machen lässt. Und wenn du noch einen Rat von mir hören willst: Diese arrangierte Verlobung zwischen deiner Schwester und dem österreichischen Erzherzog mündet in die nächste Katastrophe. Die slawischen Völker vereinen, von wegen! Glaubst du etwa, dass der junge Mann grundlos nicht erschienen ist? Da stecken sicher böse Mächte dahinter.«
Nächste Katastrophe? Böse Mächte? Was bedeutete das? War ihr Onkel übergeschnappt? Anders konnte sich Olly seine Bemerkungen nicht erklären. Himmel, das hatte sie nun von ihrer Lauscherei.
»In diesem Fall kann ich dich beruhigen, lieber Onkel. Stephan ist an Olly sehr interessiert, das hat er mir in Prag selbst gesagt. Viel leichtsieht das nicht jeder in seiner Familie gern, aber Stephan wird sich durchsetzen, davon bin ich überzeugt.« Sascha stand auf und strich seinen Offiziersrock glatt. Ein harter Zug trat auf sein Gesicht, wie immer, wenn er einen Entschluss gefasst hatte. »Und ich werde mich auch durchsetzen. Du hast völlig recht, lieber Onkel, warum soll für mich nicht gelten, was für Mary gilt? Das Volk wird sich einfach an die neuen Umstände gewöhnen müssen. Am besten bitte ich Vater noch heute um ein Gespräch. Solange er in Feststimmung ist, wird er offene Ohren für meine Argumente haben.«
Sascha stürmte so rasch am Badehaus vorbei in Richtung Schloss, dass er Olly nicht
Weitere Kostenlose Bücher