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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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weiteres Detail aus Repnins Enthüllungen zu zitieren, nämlich dass verdächtig aussehende Männer in Grodno aufgetaucht sind. Sie trugen runde Hüte, Majestät, was revolutionäre Neigungen verrät.
    Pani, die in gewohnter Hast ihre Blutwurst verschlungen hat, lässt sich unter dem Schreibtisch nieder und versucht, das Bein ihrer Herrin zu lecken.
    Â»Und jetzt zu Gustav Adolf, Madame«, beginnt Besborodko und reibt sich die Hände.
    Der König hat einen weiteren Morgen damit verbracht, zu Fuß mit seinem Onkel durch die Stadt zu streifen; alle Angebote von Kutschen oder Reitpferden lehnte er ab. In den Straßen hat man sich sehr über die Kleidung der Schweden amüsiert, ihre kurzen Röcke und Umhänge, die runden Hüte.
    Die beiden haben die Akademie besucht. Sie bewunderten die Wachsfigur von Peter dem Großen sowie die Schuhe, die er mit eigener Hand gefertigt, und die beiden Socken, die er selbst gestopft hat. Sie bewunderten auch das von Majestät persönlich verfasste Manuskript des Gesetzeskodexes, das dort an prominenter Stelle ausgestellt ist. Der König wollte wissen, wie viele dieser Gesetze tatsächlich in Kraft gesetzt wurden. Und nickte dann, als man ihm erklärte, weise Herrscher müssten sich in solcherlei Dingen in Geduld üben, denn es gebe einen Unterschied zwischen dem Schreiben auf Papier und dem Schreiben auf menschlicher Haut.
    Ihr Minister liefert seinen Bericht mit einem aufblitzenden Lächeln auswendig ab, öffnet nicht die Aktenmappe, die – wie sie wohl weiß – seine Akkuratheit Wort für Wort bestätigen wird. »Kurzum, Majestät, wir machen großartige Fortschritte. Es wird schon offen davon geredet, dass die meisten Bediensteten des Königs längst dabei sind, die möglichen Geschenke aufzuzählen, die mit einer königlichen Hochzeit verbunden sind.«
    Andere Entwicklungen sind weit weniger erfreulich.
    Die Franzosen, die ihren König und ihre Königin grausam ermordet haben, verkünden nun ihre unumstößliche Absicht, für die Befreiung ganz Europas zu kämpfen. Was zumindest erst einmal einen Überfall auf Italien bedeutet. Das ist beunruhi
gend, trotz all der abfälligen Äußerungen über den desolaten Zustand der französischen Truppen. Wenn die französischen Truppen allerdings tatsächlich derart ausgehungert, schlecht beschuht und in Lumpen gekleidet sind, wie es heißt, hätten die Österreicher sie doch schon vor langer Zeit besiegen müssen.
    Â»Die Venezianer sind entsetzt, Majestät«, erklärt ihr Minister abschließend, »und dringen auf Unterstützung. Aber wer würde denn jetzt für sie kämpfen?«
    Pani, die stets das Ende eines Besuchs spürt, wedelt mit dem Schwanz und reckt ihren schlanken, wendigen Körper, ihren langen, anmutigen Hals. Dicker Eiter klebt in Panis Augen. Anjetschka muss vergessen haben, sie mit Kamillenlösung auszuwaschen.
    Der Geruch nach trockenen Blättern und Holzrauch, der ins Zimmer dringt, ist kein Sommergeruch mehr. Die warmen Monate sind so schrecklich kurz. Nur der russische Winter zieht sich endlos hin.
    Â»Noch ein Letztes, Majestät«, sagt Besborodko, nachdem er schon um Erlaubnis gebeten hat, aufzubrechen. »Großfürst Konstantin …« Er hält inne, lächelt gequält.
    Â»Was hat er diesmal angerichtet? Und was wird es mich kosten?«
    Wie sich herausstellt, hat Konstantin eine Kanone mit lebenden Ratten geladen und sie gegen eine Wand abgefeuert. Im Marmorpalast. Was die neue Tapete ruinierte, die sie in Mailand bestellt hatte. Und seine Gattin in Angst und Schrecken versetzte.
    Wieso? Wieso verachten die jungen Menschen das, was ihnen geboten wird? Woher kommt es, dieses Bedürfnis, alles, was gut ist, zu verderben? Seine Zeit zu verplempern? Lieber zu zerstören als aufzubauen?
    Zorn rumort immer noch in ihr, als ihr Minister ihr seinen Trost anbietet. Seine Entschuldigung unterscheidet sich kaum
von jener, die er ihr darbot, als er ihr von den ausufernden Schulden und den Frauengeschichten ihres jüngeren Sohnes Alexej berichtete.
    Â»Die meisten jungen Männer müssen Dampf ablassen, Majestät. Ich war in seinem Alter ebenfalls ziemlich unbesonnen.«
    *
    Â»Gib mir deine Hand, Katinka.« Le Noiraud bleibt beharrlich.
    Sie streckt ihre rechte Hand aus, er nimmt sie zwischen seine Finger und reibt so lange, bis sie

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