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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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spürt, wie das Blut pulsiert. Dann zieht er an jedem ihrer Finger, um die Gelenke zu lockern. Seine eigenen Hände sind warm und trocken. Seine Haut ist weich. »Du schonst dich nicht«, sagt er. »Ich protestiere.«
    Â»Ist deine Schwester wohlauf?«, fragt sie.
    Le Noirauds Augen, mandelförmig und so wunderschön schwarz gerahmt, blicken sie mit kindlichem Erstaunen an. Ist sie eine Hellseherin? Kann sie Gedanken lesen? Er war gerade im Begriff, mit ihr über seine Schwester zu sprechen.
    Ihr Liebhaber legt ihre rechte Hand wieder in ihren Schoß und greift nach der linken. Seine Gesten sind langsam und bedächtig.
    Â»Ich hasse den Sommer hier«, sagt er. »Wir hätten nicht so früh nach Zarskoje Selo fahren sollen.«
    Die Datscha seiner Schwester ist sein einziger Zufluchtsort in der Stadt. Er hat sie erst gestern besucht. Lambro-Cazzoni war ebenfalls dort. »Du musst dich noch an ihn erinnern«, sagt er. »Er hat als Admiral unter Fürst Potjomkin gedient. Ein Grieche.«
    Sie erinnert sich nicht.
    Â»Ich kenne ihn schon seit einiger Zeit«, fährt ihr Liebhaber fort, »doch es bedarf einer Frau, um die verborgenen Tugenden eines Mannes zu entdecken.«
    Sie schließt die Augen. Le Noirauds Finger verharren auf dem
geschwollenen Knöchel ihrer linken Hand. In seiner Stimme schwingt noch das Erstaunen über die gestrige Entdeckung. »So unglaublich verheißungsvoll«, sagt er.
    Le Noirauds Schwester hat nämlich herausgefunden, dass der ehemalige Admiral auch ein Heiler ist. Seit längerer Zeit litt sie an einer offenen Wunde am Arm, und dem Admiral fiel auf, dass sie eiterte. Er bat darum, sie behandeln zu dürfen. Seine Heilmethode war einfach. Er hatte sie auf See erlernt, von einem alten griechischen Matrosen. Tägliche Bäder in kaltem Meerwasser. Keine Zugpflaster, keine Aderlässe. Nach einer Woche mit dieser Behandlung war die Wunde seiner Schwester vollständig abgeheilt.
    Â»Darf er sich dein Bein anschauen, Katinka?«, fragt Le Noiraud und küsst ihre Hand. »Wenn ich dich darum bitte?«
    Sie schüttelt den Kopf. Sie kann ihre Zeit nicht mit einem Quacksalber vergeuden, der – wie all diese Leute – am Ende nur um ein Ruhegehalt bitten wird.
    Aber Le Noiraud bleibt hartnäckig. Er faltet die Hände, als wollte er beten. Er flüstert. »Du hast mir versprochen, mehr auf dich zu achten. Es wird nicht lange dauern. Er wartet draußen. Tu es für mich. Ich bitte dich.«
    Er hat sich verändert in den letzten Monaten. Die Atmosphäre unruhiger Besorgnis, die ihn umgibt, hat sich verstärkt. Seine Lebhaftigkeit ist verschwunden.
    Du warst dir bei ihm nicht sicher, Grischenka, denkt sie. Aber sieh doch. Er denkt nicht nur an sich. Er ist besorgt um meine Gesundheit. Er sorgt sich um mich.
    Â 
    Â»Kein Mediziner per se, Hoheit«, sagt Lambro-Cazzoni in seinem stockenden Französisch. »Was mir die Behauptung erlaubt, dass ich der Menschheit weniger Schaden zugefügt habe als andere.«
    Ein stämmiger Mann. Klein, aber kräftig. Nichts als Muskeln.
    Trotz ihrer Bedenken gefällt er ihr mit seinem robusten Aussehen, dem militärischen Habitus. Hält sich gerade, bewegt sich mit Präzision. Seine Hände sind gepflegt, seine Fingernägel sauber und ordentlich geschnitten. Und er unternimmt keinen Versuch, sich einzuschmeicheln.
    Â»Sie dürfen es sich einmal anschauen, Monsieur«, sagt sie.
    Lambro-Cazzoni kniet sich auf den Fußboden und entfernt fachmännisch Rogersons Verband. So freigelegt sieht das Bein schlimmer aus, als sie es in Erinnerung hat. Die Haut wirkt bläulich, die offenen Stellen sondern blutigen Eiter ab.
    Der Admiral schnuppert an dem Verband. Er stippt mit der Fingerspitze in den blutigen Ausfluss und berührt ihn kurz mit der Zunge.
    Â»Süßes Blut, Majestät«, erklärt er.
    Â»Was bedeutet das?«
    Seine Erklärung – es sei zu viel Zucker in ihrem Blut – erscheint ihr wenig sinnvoll. Anders als Anjetschka hat sie kein Verlangen nach Süßem. Rogerson hat ihr ein Glas süßen Malagawein pro Tag verschrieben, um sie zu beruhigen und zu stärken. Sie süßt nicht einmal ihren Kaffee.
    Der Admiral hört ihr genau zu. »Es ist nicht immer das, was wir essen, Majestät. Der Körper geht manchmal geheimnisvoll verschlungene Wege.«
    Bei dem Wort geheimnisvoll zuckt sie

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