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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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zusammen. Vielleicht hat sie diesem Mann zu überstürzt Zugang gewährt. Wovon wird er als Nächstes sprechen? Von der Macht uralter Zaubersprüche? Von einer Hexe, die einen Ball aus Haaren und Knochen unter ihrem Bett versteckt hat?
    Â»Geheimnisse sind nichts weiter als ungelöste Probleme«, sagt sie kurz angebunden.
    Der Admiral muss ihr Missbehagen gespürt haben, denn er richtet sich auf. »Die Griechen mögen viele Fehler haben, Majestät, aber wir sind schon ziemlich lange auf der Welt und haben einiges an unbestreitbarer Weisheit angesammelt.«
    Die Pocken sind sein Beweis. Lange bevor britische Ärzte das Wunder der Impfung entdeckten, wussten griechische und türkische Bauern, wie sie ihre Kinder schützen konnten.
    Â»Also gut«, sagt sie, trotz ihrer Bedenken, und sieht, wie sein rötliches Gesicht strahlt.
    Â»Das Meerwasser muss sehr kalt sein, Majestät«, erklärt der Admiral, als der Gehilfe mit zwei Schüsseln eintritt.
    Das Wasser ist kalt. Es schwimmen noch Eisstückchen darin.
    Er stellt die leere Schüssel auf den Boden und setzt ihr Bein hinein. Mit einem kleinen Becher schöpft er das kalte Meerwasser aus der anderen Schüssel und gießt es langsam über das Bein.
    Sie schließt die Augen. Das Wasser riecht noch nach Meer und erinnert sie an Kindheitsglück. Ein junges Mädchen, das am Ufer der Ostsee entlangläuft, ein schwarz angelaufener Holzklotz voller Algen, ihre sauberen nackten Füße, die durch die flachen Wellen platschen. Babettes Stimme, die sie an die guten Gaben des Meeres erinnert. Fische, Meersalz, Bernstein.
    Â»Wie fühlt es sich an, Madame?«, fragt der Admiral.
    Â»Besser«, sagt sie. Das von der Kälte gefühllose Bein hat eingelenkt. »Wenn das so weitergeht, kann ich vielleicht noch einmal die Krim bereisen. Würden Sie mir das empfehlen, Monsieur?«
    Â»Eine hervorragende Idee«, sagt der Admiral und schnalzt mit der Zunge. »Mit Erlaubnis Ihrer Majestät«, fügt er hinzu, »werde ich jeden Morgen mit frischem Meerwasser kommen. Damit Majestät ihre Arbeit im Dienste des Reichs ungestört fortsetzen kann.«
    Während dieser Zeit rät er ihr von Verbänden und Zugpflastern ab. Sie sollte das Bein, sooft sie kann, der Luft aussetzen. Die Haut atmen, die offenen Wunden trocknen lassen. Ganz gleich, was der mächtige Rogerson ihr erzählen wird, um ihn in ein schlechtes Licht zu setzen.
    Was er versuchen wird.
    Â 
    Eine Stunde später ist das Bein immer noch schmerzfrei. Als ihr Rogersons Ankunft gemeldet wird, schickt sie Anjetschka mit der Botschaft zu ihm, sie benötige ihn nicht.
    Â»â€ºNie mehr‹, hat er gefragt, ›oder nur heute nicht?‹«, schildert Anjetschka den Dialog. »Also habe ich gesagt: ›Heute nicht.‹ Da hat er gefragt: ›Wieso?‹, und ich habe gesagt, ich wüsste ja nicht, was Majestät denkt, aber dass Majestät ihre Gründe haben muss. Und da hat er ein Gesicht gemacht, als hätte er gerade ein Kröte verschluckt.«
    Nichts muntert Anjetschka mehr auf als ein kleiner Racheakt.
    Der König, verkündet Anjetschka, sei von der eleganten Architektur russischer Brücken sehr beeindruckt gewesen. Auch die Tänzer auf der Wassiljewski-Insel hätten ihm sehr gut gefallen. Und erstaunt habe ihn die Freundlichkeit der Menschen auf den Straßen. Anjetschka, die allein in der letzten Woche mehrere Zentimeter in der Taille zugelegt haben muss, hüpft beinahe vor Vergnügen. »Was für ein freundlicher und taktvoller junger Mann«, sagt sie. »Und sein Onkel führt sich auf wie ein echter bojar .«
    Besborodkos Berichte sind weniger blauäugig. Dem Regenten gefiel der Bronzereiter nicht. Seine Argumente: Der heilige Riesenfels, der unter so großen Mühen von Karelien an die Ufer der Newa transportiert wurde, maß sechseinhalb Meter in der Höhe, zwölf in der Breite und war mit einer dicken Schicht Moos bedeckt. Nachdem er dann gesäubert, behauen und poliert worden war, maß er nur noch die Hälfte. Jetzt ist es kein heiliger Riesenfels mehr, sondern nur noch ein großer Stein. Peter der Große, der von dessen Höhe aus das gewaltige Reich hätte überschauen sollen, kann nur noch wie ein zweitrangiger bronzener Spion ins erste Stockwerk der benachbarten Häuser spähen.
    Das Hofgewand, das Anjetschka ihr anzulegen hilft, ersetzt ihr

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