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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Gefangenen, eine Quelle beständigen Ärgers. Grischenka mag recht gehabt haben, als er sich gegen die Teilung Polens wandte. »Sieh zu,
dass das Land schwach bleibt, aber schnüre ihnen nicht die Luft ab«, hatte er gesagt. »Lass sie sich untereinander streiten, dann werden sie sich nicht gegen uns verbünden.«
    Manchmal ist ihr all das einfach zu viel.
    Obendrein fließt das Geld allzu freigebig. Das Wassersystem im Palast von Zarskoje Selo muss dringend repariert werden. Die geschätzten Kosten belaufen sich auf 68 193 Rubel.
    Der für die kaiserlichen Residenzen zuständige Sekretär, Peter Turtschaninow, legt ihr einen Kostenvoranschlag für die neue Möblierung der chinesischen Pagoden vor, über 25 000 Rubel.
    Â»Warum so viel?«, fragt sie.
    Turtschaninow, ein kleiner Mann, der unaufhörlich Verbeugungen und Kratzfüße macht, ist gekränkt. »Qualität hat ihren Preis, Hoheit«, murmelt er und blickt ihr verstohlen ins Gesicht, um zu sehen, wie viel Geduld sie noch mit ihm hat. Sehr wenig. Seine Unterwürfigkeit reizt sie dermaßen, dass sie ihm am liebsten ins Gesicht schlagen würde.
    Unter den vorgelegten Summen bilden Ikonen, Ledersessel, neue Frisiertische und Kommoden die teuersten Posten. Fransen und Quasten verdoppeln den Preis für die Vorhänge.
    Â»Die brauchen wir nicht«, sagt sie, und Turtschaninow verbeugt sich erneut. »Keiner wird es merken.«
    Turtschaninow ist nicht erfreut, aber er wird niemals genügend Mut aufbringen und ihr Urteil zu beeinflussen suchen. Seine Gedanken sind wie Ameisen in unbekanntem Gelände, die die Luft prüfen und schauen, wohin sie sich vorwagen können.
    Andere Kosten können mindestens halbiert werden, erklärt sie ihm. Als Ikonen sollten die kleinsten ausgewählt werden, die sich auftreiben ließen. Von Lohn-Malern produzierte Imitationen würden auch reichen. Kein Spiegel sollte mehr als 25 Rubel kosten. Armsessel braucht sie nicht. Schwarze Lederstühle reichen vollkommen. Es muss noch genügend alte Frisiertische, Kommoden und Waschbecken auf dem Dachboden geben. »Und«, sagt sie, »wenn Sie neue Gästezimmer einrichten,
dann benutzen Sie Möbel, die wir schon besitzen. Leihen Sie sich welche aus anderen Zimmern aus, und bringen Sie sie wieder zurück, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.«
    Turtschaninow scheint noch mehr geschrumpft zu sein, wirkt geradezu verkümmert, wie er da seine Korrekturen in die Papiere kritzelt. Was mag er denken? Dass die Zarin von Russland allmählich den Verstand verliert? Wie kann sie Hunderttausende für die Paläste von anderen ausgeben und sich selbst das bisschen Luxus nicht gönnen? Was müssen die Ausländer denken, die doch sehen wollen, wie russische Herrscher leben?
    Die Ausländer. Ein ewiger Chor der Kritiker. Ihre Worte sind der Spiegel, in dem die Russen sich sehen.
    Turtschaninow hat seine Kritzelei beendet und blickt auf seine Füße. Offensichtlich möchte er etwas sagen. Er verzieht sein Gesicht so bedrohlich, als hätte er Kenntnis von einer bevorstehenden Katastrophe. Was will er ihr mitteilen? Dass das Vieh sich nicht mehr fortpflanzt? Dass der Brotteig nicht mehr aufgeht?
    Turtschaninow trägt keine Perücke und hat viel Pomade in sein Haar geschmiert. Wenn er in die Sonne geht, denkt Katharina, wird sie schmelzen und ihm in den Nacken laufen. Das Bild ihres Sekretärs, dem Pomadebächlein in den Nacken fließen, erscheint ihr ungeheuer komisch. Aber es gelingt ihr, die Heiterkeit zu unterdrücken.
    Â»Lassen Sie mich wissen, was Sie beschäftigt«, sagt sie und wartet gelassen.
    Ihre Aufforderung löst eine Flut von Worten aus. Anfangs versteht sie nicht viel, erst nach einer Weile fügen die Worte sich zu einem Bild.
    Es geht um Paul. Sobald der schwedische König die Einladung nach Gatschina angenommen hatte, befahl ihr Sohn, die alten Bäume zu fällen. Allesamt. Alte Eichen, die noch an die Zeit Peters des Großen erinnerten, wurden von Leibeigenen fortgekarrt.
    Warum?
    Um Platz für eine Militärparade zu schaffen!
    Â»Ich dachte, das sollte Majestät wissen«, sagt Turtschaninow. »Bäume brauchen viel Zeit, um zu wachsen.«
    Â 
    Anjetschka, die eintritt, sobald Turtschaninow gegangen ist, keucht vor Anstrengung.
    Sie hat nur die Handtücher auseinandergefaltet und auf dem Schlafzimmerteppich ausgebreitet, aber selbst

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