Die Zarin der Nacht
sprechen.
5.
Ich werde ihr berichten, wie hoch Alexander von ihr denkt.
6.
Ich werde Pauls Wutanfälle erwähnen. Meiner mütterlichen Besorgnis Ausdruck verleihen.
7.
Es sollte Kaffee serviert werden, mit Ãpfeln im Schlafrock und Makronen. Vielleicht auch Linzer Torte.
8.
Schweigen, solange sie isst.
9.
Ich werde erklären, was sie zu tun hat. Warum sie Alexander einen Brief schreiben und ihm ihre Unterstützung zusichern muss, und dann werde ich ihr den Entwurf überreichen. Und sie bitten, ihn persönlich abzuschreiben und zu unterzeichnen.
Maria Fjodorowna erscheint, als die Uhr in der Ecke fünfzehn Minuten nach drei anzeigt. Ihre Hände sind pummelig, ihr Gesicht rund. Sie hat sich mit Entschuldigungen gewappnet. Das Baby habe gewürgt und die Augen verdreht. Die Amme sei ent
setzt gewesen. Mit Unbehagen betrachtet sie ihre vielen Spiegelbilder. »Ich hoffe, liebe Mutter, Sie haben nicht allzu lange auf mich gewartet«, sagt sie.
»Du bist nicht zu spät, mein Kind«, sagt sie. Die vielen Gesichter der Maria Fjodorowna in den reich verzierten Spiegeln des Silbernen Salons entspannen sich zu einem Lächeln.
Sie setzen sich nebeneinander auf das Sofa.
»Nikolaus ist vollkommen gesund«, setzt Maria Fjodorowna ihren Bericht aus dem Säuglingszimmer fort. »Er ist gröÃer als Alexander in seinem Alter. Auch gröÃer als Konstantin.«
Lakaien bringen Tabletts mit Erfrischungen. Der Kaffee wird mit gewärmter Sahne und Zucker serviert. Die Linzer Torte hat ein Gitter aus Teigstreifen, ist mit Marmelade aus Erdbeeren und roten Johannisbeeren gefüllt und üppig mit Mandelsplittern bestreut. Sie duftet nach Zitronenschale und Butter.
»Linzer Torte!«, ruft Maria und klatscht in die Hände, genau wie Alexandrine. »Die habe ich schon so lange nicht mehr gegessen. War es in Berlin? Oder in Wien?«
Sie, die Kaiserin, antwortet nicht. Weist auch nicht darauf hin, dass es im Augenblick völlig gleichgültig ist, wo Maria zuletzt Linzer Torte gegessen hat.
Maria betrachtet das groÃe Stück Torte wohlgefällig, ehe sie mit ihrer Gabel hineinsticht. Sie ist eine bedächtige Esserin. »Kaut langsam«, erklärt sie all ihren Kindern. Die lachen heute noch darüber, wenn sie unter sich sind.
Doch all das sind Nichtigkeiten. Sie lassen sich ertragen.
Der Nachmittag entwickelt sich so, wie Katharina ihn geplant hat. Maria, mit so vielen Gründen, stolz zu sein, bedacht, strahlt. Gustav Adolf hat ihren Pawlowsker Park gelobt? Ihre selbst gravierten Gemmen bestaunt? Wenn der König nach Gatschina kommt, wird sie ihm eine Auswahl ihrer jüngsten Versuche präsentieren. Alle freuen sich schon auf seinen Besuch.
»Noch ein Stück Torte?«
»Ich sollte wirklich nicht. Aber wenn Maman darauf besteht â¦Â«
»Ich bestehe darauf.«
Maria ist so vorhersehbar. Sie wechselt ein Thema nicht von sich aus. Sie kann Schweigen nicht ertragen und füllt es mit endlosem Geplapper. Sie fragt nicht, wieso sie hergebeten wurde, geht aber mit Sicherheit davon aus, es sei wegen Alexandrine und Gustav Adolf.
Und so unterhalten sie sich über Alexandrine, ein Thema, bei dem sie vollkommen einer Meinung sind. Wie reizend die beiden jungen Leute zusammen aussehen, so unverstellt, so anmutig. Wie wohlerzogen Alexandrine ist. Gemeinsam sorgen sie sich wegen der Anfangszeit in Stockholm. Das Kind wird sie alle so sehr vermissen. Auch mit dem besten Ehemann entgeht man der Einsamkeit nicht. Es braucht Zeit, sich ein neues Leben aufzubauen. Sich an einen neuen Palast zu gewöhnen. Neue Dienstboten. Neue Sitten. Schwedisch ist eine schwierige Sprache.
Man wird Alexandrine beobachten. Jeder Fehler, den sie begeht, wird registriert werden. Ob es wohl sinnvoll wäre, Fürstin Daschkowa um ihre Begleitung zu bitten? Die Fürstin wartet natürlich auf eine derartige Anfrage. Ist dringend daran interessiert, von ihrer Kaiserin wieder in Gnaden aufgenommen zu werden. Das hat Vorteile. Die Fürstin ist schon seit so langer Zeit eine Freundin der Familie. Sie wird Rat und tröstende Worte anbieten können. Ihrem scharfen Blick entgeht keine Kränkung. Sei sie real oder eingebildet.
Sie lachen gemeinsam.
Die Spiegel reflektieren zwei Gestalten auf dem apfelgrünen Sofa. Dicht nebeneinander, aber nicht zu dicht. Gerade so, dass sie einander anblicken können. An diesem stillen Nachmittag herzlicher Vertraulichkeiten
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