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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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deine Frau bestrafen – dabei weißt du gar nicht mal, wofür.«
    Peter sieht sie an und blinzelt nervös. Sein Gesicht ist rot und von Pockennarben entstellt. Ihr wird ganz schlecht von dem Geruch, den er ausdünstet, einer Mischung aus Schnaps- und Tabakgestank.
    Â»So etwas passiert, wenn du mir nicht vertraust«, stammelt Peter. »Wenn du zu mir gekommen wärst und dich über die Schuwalows beklagt hättest, wäre alles gut geworden.«
    Das ist ein Rückzug, ja fast eine Entschuldigung. Ein Frie
densangebot, das sie noch wenige Wochen zuvor angenommen hätte. Jetzt geht sie darüber hinweg.
    Â»Worüber hätte ich mich beklagen können, Peter? Über Gerüchte? Über versteckte Anspielungen? Hättest du nicht Beweise verlangt? Gewissheit?«
    Peter kann ihrer Argumentation nicht mehr folgen. Wie ein Ertrinkender klammert er sich an den Gedanken, als ein edler Ritter seine Frau zu verteidigen, an eine große, erhabene, schöne Idee. »Ich hätte ihnen verboten, schlecht über dich zu sprechen«, sagt er.
    Sie runzelt streng die Stirn. »Am besten wäre es, du würdest schön still schweigen. Du bist ja betrunken.«
    Ihr rüder Ton schüchtert ihn ein.
    Â»Du … du …«, stammelt er. »Warum bist du …« Seine Zunge gehorcht ihm nicht mehr. Er verstummt.
    Â»Geh schlafen«, sagt sie und wendet sich ab.
    Â 
    Später an diesem Abend sitzt sie in einem Salon mit Lew Naryschkin und dem Britischen Gesandten am Kartentisch. Die Rüschen an ihren Manschetten unterstreichen die Eleganz ihrer Bewegungen, wenn sie ihre Karten auf den Tisch legt.
    Sie hat die beiden Männer gewinnen lassen, und sie sind bester Laune. Da tritt Alexander Schuwalow an ihren Tisch, ein hässlicher Mann mit hervortretenden Augen und einem Tic: Eine Wange zuckt ständig nervös. Er ist der Leiter der Geheimkanzlei und von allen gefürchtet. Man erzählt sich, er könne einen Menschen mit einem Faustschlag gegen die Schläfe töten.
    Bevor er dazu kommt, etwas zu sagen, deutet die Großfürstin auf das Tischchen neben ihr, auf dem eine Flasche Champagner und eine Karaffe mit Malaga stehen.
    Â»Man hat mir gesagt, Champagner macht schlechtes Blut«, bemerkt sie. »Doktor Halliday hat mir empfohlen, stattdessen Malaga zu trinken.«
    Alexander Schuwalow mustert sie schweigend. Seine Wange zuckt. Er hat etwas von einem verwundeten Zyklopen.
    Â»Die Kaiserin hat mich gefragt, ob ich das auch glaube«, fährt sie fort. »Ich habe geantwortet, ich sei mir noch nicht sicher.«
    Lew Naryschkin schmunzelt. Ihre Warnung an Schuwalow ist deutlich genug: Jedermann weiß, dass seine Familie das Monopol für den Handel mit Champagner, Tabak und Thunfisch besitzt.
    Sie nimmt ihre Karten, ordnet sie sorgsam zu einem Fächer und legt die Pik-Dame auf den Tisch. »Wie gefällt Ihnen das, Lew?«, fragt sie, während Alexander Schuwalow sich steif verbeugt und den Rückzug antritt.
    *
    Zarewitsch, denkt sie.
    Paul ist klein und schmächtig. Sein Gesicht verfinstert sich, und seine Augen werden schmal, sobald etwas vor ihm auftaucht, das neu für ihn ist. Ständig wird er von seinen Ammen umsorgt und betüttelt. Keinen Moment lang kann er auf seinen eigenen Füßen stehen, ohne dass eine über ihn wacht, immer bereit, ihn sofort zu fassen und zu halten, sobald er nur ein kleines bisschen ins Schwanken gerät.
    Ist das der Grund, warum er immer nach wenigen Schritten schon die Ärmchen hebt, damit sie ihn hochnehmen und tragen? Warum er so wehleidig wimmert und fiept oder zornig mit den Füßen stampft?
    Elisabeth verdirbt ihn, findet Katharina. Wie soll ein Kind, das so behütet und verwöhnt wird, je etwas Nützliches lernen?
    Die Großfürstin darf ihren Sohn nur einmal pro Woche sehen. Sie bietet bei diesen Besuchen alle Disziplin auf, deren sie fähig ist, gestattet sich kein Gefühl des Bedauerns, keinen Gedanken daran, was unter anderen Umständen hätte sein kön
nen. Der Junge ist immer viel zu warm angezogen. Sein Gesicht ist ganz rot und verschwitzt. Er kennt keine Einsamkeit, keine Stille, keine Langeweile, die ihn dazu zwingen würden, selbst aktiv zu werden, um sich zu unterhalten. Andauernd hört er schmeichelndes Geplapper, oder man singt ihm etwas vor oder erzählt ihm Märchen. Das Kinderzimmer ist vollgestopft mit so viel Spielzeug, dass

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