Die Zarin (German Edition)
sollte man dich stellen!«
Ich erkannte den melodischen und doch strengen Klang sofort. Aber – ich mußte mich täuschen!
»Schau dir das an! Das nennst du Pastetenfülle? Meine Schweine bekommen mehr zu fressen!« zeterte die Frau weiter. Der Bäcker verteidigte sich nur noch schwach. Als ich mich ungläubig umdrehte, sollte ich recht behalten: Es war Karoline Glück, die da den Bäcker Sitten lehrte! Ich konnte es kaum fassen, sie hier so lebendig und wohl zu sehen, und ging deshalb nur langsam und zögerlich auf sie zu. Als ich sie am Arm faßte, fuhr sie herum. Doch auch sie erkannte mich sofort, und die echte Freude, die sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, wärmte mir mein heimatloses Herz.
»Martha! Mein Gott, du bist am Leben! Was machst du denn hier?!«
Sie umarmte mich, und ich sog wie ein Kind ihren weichen Duft nach Kampfer und Minze ein, der aus ihrem Umhang und ihrem dicken blonden Zopf stieg. Ich selber hatte in meinem Sommer bei den Glücks die kleinen Leinensäckchen mit den Kräutern gefüllt, die Karoline dann sorgsam zwischen ihre Kleider und ihr gefaltetes Leinen legte. Wir beide lachten und weinten und redeten im selben Augenblick, ohne wirklich zu hören, was die andere sagte.
»Wo bist du nur geblieben?«
»Wie geht es Johann?«
»Ist Ernst Glück denn hier wieder Pfarrer? Und was macht Ulrike?«
Erst dann wurde sie meines Zustandes gewahr und legte mir vertraulich eine Hand auf den geschwollenen Bauch. »Meine Güte, das ist ja schon das zweite für Johann und dich! Fleißig, fleißig ihr beiden!« lachte sie.
Ich schüttelte nur den Kopf. »Nein, Johann ist tot – denke ich zumindest. Und sein erstes Kind habe ich damals verloren.«
»Aber …«, erst jetzt sah Karoline über die Schulter Felten mit seinen Soldaten auf mich warten. Der Anblick konnte sie nur überraschen. »Aber – wer dann? Bist du verheiratet?« Bis an das Ende ihrer Tage sollte sie die rechtschaffene Pfarrersfrau bleiben. Ich schüttelte den Kopf.
»Nein, aber das Kind hat einen Vater, der sich ebenso wie ich auf sein Kommen freut. Es ist Peter, der Zar von Rußland.«
Karoline ließ vor Erstaunen eine der Piroggen fallen, um die sie gerade so erbittert gestritten hatte. »Der Zar! Herr im Himmel! Was machst du denn für Sachen? Heilige Mutter Gottes!«
Felten hatte gerade einen neues Rad Käse erstanden und wollte es dem Zaren als Entschuldigung für seine Unachtsamkeit schenken. Er trat von einem Fuß auf den anderen. Der kleine Däne hatte seine herrischen Momente!
Ich faßte Karoline am Handgelenk und bat sie dann: »Weshalb kommt ihr heute abend nicht nach Sankt Petersburg geritten? Wir haben bereits einige Häuser stehen, und Felten kann zur Feier eine Sau rösten! Ich sende euch Soldaten, die euch abholen, so seid ihr auf dem Weg vor Gesindel sicher.«
Karoline beschrieb mir rasch, wo in dem mir die Familie Glück jetzt lebte: Ernst Glück hatte sich als Lehrer verdingt, und die Familie war froh, den Sturm auf Marienburg überlebt zu haben. Sie hausten nun mit ihren Kindern und Johannes’ Frau Alexandra in einem kleinen Holzhaus, durch dessen Ritzen der Wind von Nyenschantz pfiff. Den ganzen Rückweg über maulte Felten darüber, daß er eines der erstandenen Schweine heute abend gleich wieder hergeben sollte, bis ich ihm scharf den Mund verbot und der Gruppe im Trab voranritt. Ich freute mich so sehr, die Glücks wiedergefunden zu haben – sie waren nach Darja das Nächste, was ich noch auf dieser Welt an Familie hatte. Ich mußte ihnen doch helfen können, sich wieder ein Dasein aufzubauen! Ich mußte ihnen danken können, für alles Gute, das sie mir getan hatten. Der einzige Gedanke, der mich nicht im geringsten berührte, war der, Johannes wiederzusehen.
Im Petersburger Holzhaus war es warm, denn der Kachelofen brannte selbst im Sommer leise. Ich hatte Peter dort am Morgen über Pläne für seine Stadt gebeugt verlassen. Er hatte in diesen Tagen bereits Boten nach Persien geschickt, die Orangenbäume, Kampfer und Minzepflanzen bringen sollten. Er selber saß gerade an einem Ukas zur allgemeinen Erziehung der russischen Jugend. Gerade, als ich die Tür aufstieß, drehte er mürrisch die Feder in der Hand hin und her. Tiefe Schatten lagen unter seinen Augen, und er aß noch einen Löffel der kalten kascha, die auf seinem Tisch stand. In seinem von ihm selbst geschnitzten Holzbecher stand noch ein bitterer Rest kwas. Die Oberfläche des Gebräus war bereits von einer öligen Schicht
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