Die Zarin (German Edition)
Wittenberg besucht. Nichts machte ihm mehr Freude als die Geschichte vom tapferen Luther und dem Teufel, nach dem er das Tintenfaß warf.
»Bei Gott, das hätte ich auch getan!« rief er aus, und die, die ihn kannten, glaubten ihm aufs Wort. Nur zwei Jahre später sollte Ernst Glück an einem Fieber sterben, und Karoline lebte noch einige Jahre als ehrenwerte Witwe in Moskau.
Von Karoline hörte ich, daß der Zar wie ein Kind geweint hatte, als er die bereits vollkommen geformten kleinen Finger und die Zehennägel seines Sohnes sah. Ich bekam Angst, als ich dies hörte. Was sollte nun geschehen? Ich hatte mich als unfähig erwiesen, ihm ein gesundes Kind zu gebären!
Die Sorgenvögel krähten Darjas Worte durch die Leere in meinem Schädel, wo sie grausig widerhallten. Man fütterte mich mit heißer Bohnensuppe und Speck, dicker Blutwurst, in fett gebackener Brotkruste, mit Omeletts mit frischem Kraut und getrockneten süßen Früchten, die Felten über Nacht in warmen Wein einlegte. Das sollte mir Kraft geben. An meine Füße legte Karoline ohne Unterlaß heiße Steine, und sie stülpte meine Decke über den Kachelofen, ehe sie mich darin einwickelte. Die Kraft kehrte so langsam in meinen Körper zurück, der Frohsinn jedoch nicht. Ich lag nur auf meinem Lager und sah gegen die Decke. Es genügte mir, wenn ich die Käfer und die Eidechsen im Gebälk nachzählte. Mehr wollte ich von einem Tag nicht erwarten. Als ich wieder stark genug war, um zu laufen, sandte mich Peter, ehe noch der erste Schnee fiel, mit den Glücks in einem Troß von Kutschen und Sänften nach Moskau zurück. All mein Widerstand half nicht.
»Bitte, laß mich bei dir bleiben!« flehte ich ihn an.
Er jedoch schüttelte nur den Kopf. »Du bist zu schwach. In Moskau können sich bessere Ärzte um dich kümmern!« entschied er.
Als meine Kutsche aus dem Lager rollte, sah ich die jungen, gesunden Wäschemägde im Fluß baden. Sie zeigten ihre starken Körper ohne falsche Scham her, und ihre weiße Haut leuchtete im Sonnenschein. Welche von ihnen sollte in dieser Nacht bei dem Zaren liegen? Ich schluchzte auf und zog die Vorhänge vor das Fenster. Mit meinem Gefährt sandte Peter seine Lieblingshunde Lenka und Lisenka nach Moskau: Er hatte sich nur unter Tränen von ihnen getrennt. Lisenka war trächtig, und ich streichelte ohne Unterlaß und wortlos ihren geschwollenen Bauch.
Moskau fiel in Abwesenheit des Zaren wieder in seine alten Sitten zurück: Die Männer holten, als es früh im September Herbst wurde, ihre flachen Biber pelzhüte hervor und hüllten sich in lange Mäntel, die ebenfalls mit Pelz verbrämt waren. Sie gürteten sich um die Lenden statt um die Leibesmitte und trugen Spitzpantoffeln an Stelle der westlich geschnürten Stiefel. Die Kleider, die Peter ihnen verordnet hatte, wurden in die hintersten Winkel der Truhen verbannt. Frauen, die sich dennoch in den Gottesdienst mit eng geschnürten und ausgeschnittenen Kleidern wagten, wurden beschimpft. Die anderen Weiber, die Blusen mit gebauschten Ärmeln, bestickte Sarafane und weite Tuniken trugen, rissen an ihren Röcken, traten nach ihnen und keiften wie die Katzen.
Ich wurde nur selten alleingelassen, da Karoline fürchtete, ich könnte mir etwas antun. Von ihren Kindern war nur Ulrike mit ihnen nach Moskau gekommen. Aus dem blassen Kind war ein hübsches junges Mädchen geworden, nach dem sich die Burschen der deutschen Vorstadt bereits umdrehten.
Wenn Karoline ihrem Mann bei seinen zahlreichen Aufgaben half, so war Darja bei mir. Sie hatte Trost der besonderen Art: »Wenigstens hast du ein Kind erwarten dürfen, Martha!« meinte sie an einem Tag, an dem sich die fahle Wintersonne zum ersten Mal nach langen Schneestürmen wieder zeigte.
Ich drehte müde den Kopf zu ihr hin und fragte sie ohne Neugierde: »Was ist daran so Besonderes?«
Sie trat an das Fenster meiner Stube im Kreml und sah hinaus auf den weiten Roten Platz, auf dem das Leben wimmelte. »Nun, Alexander Danilowitsch hat immer deutlich gemacht, daß er ein uneheliches Kind von mir nicht dulden wird.«
Ich bekam vor Staunen große Augen. Dort, wo ich herkam, sah man Kinder als Reichtum an!
»Und wie verhinderst du das?« fragte ich. Darja zuckte die Schultern.
»Nun, es gibt da mehrere Möglichkeiten. Du kannst dir aus Schafsdarm oder Zitronenhaut eine Hülle machen …«
Ich sah sie verständnislos an. Wovon sprach sie? Sie sah wohl mein Erstaunen, zögerte etwas und fuhr fort: »Oder, Warwara hat sich
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