Die Zarin (German Edition)
hinstreckten. Das erste Korn stand auf den Feldern, und zu den Füßen der Leibeigenen, die auf den Feldern arbeiteten, glänzte die Ackerscholle trocken. Die Hufe unserer niedrigen, starken Pferde klapperten stumpf auf den festgetretenen Wegen, die noch immer von Peters Kanonen aufgerissen waren. Ich lenkte mein Pferd vorsichtig um die tiefen Furchen und Löcher im Erdboden herum. Es sank dennoch bei jedem Schritt bis an die Fußgelenke in den weichen Matsch ein. Felten schimpfte auf seinem fetten kleinen Pferd vor sich hin: »Ein Unding ist das hier! Wann kehren wir endlich nach Moskau zurück, wo ich eine ordentliche Küche und richtige Vorräte habe? In dieser Wildnis kann man ja nichts zustande bringen. Wenn ich alleine an meine Gewürze dort denke! Und mein fetter Suppengrund! Nie gelingt mir eine Speise hier so gut wie im Kreml!«
Ich lachte und lenkte mein Pferd vorsichtig um einen dicken Eichenstumpf, der von Peters letzter Rodung für seine Flotte übriggeblieben war. »Du solltest dich besser auf einen langen, sehr langen Aufenthalt in dieser Gegend einstellen, Küchenmeister Felten! Der Zar und wir alle wollen auch hier, in seinem neuen Paradies, gut essen. Und dazu brauchen wir dich!«
»Paradies!« Der kleine dicke Däne spuckte das Wort in seinem weich singenden Deutsch, das wir miteinander sprachen, fast aus. Im selben Augenblick erschlug er klatschend eine dicke Mücke, die sich gierig an dem Fleisch seiner Backe vollsaugte. Er fluchte wieder. »Paradies! Die Hölle ist das hier! Stimmt es, daß der Zar nun außer den Rekruten auch noch Zwangsarbeiter hierher beordert, um diese Stadt zu bauen?«
So zornig, wie er war, sah er fast selber aus wie eines der vielen Ferkel, daß er in seinem Leben schon mit Bier, Senf und Honig überzogen hatte, um sie auf kleiner Flamme zart zu rösten. Ich nickte und verjagte mit meiner freien Hand einen Schwarm Mücken. Mein Pferd trat unversehens in ein Erdloch und strauchelte: Ich konnte mich gerade noch im Sattel halten, und der Knauf bohrte sich schmerzhaft in meinen Bauch. Ich biß mir vor Schmerz auf die Lippen. Felten hatte nichts bemerkt. So schnappte ich nur ein weiteres Mal nach Luft und sprach weiter, als sei nichts geschehen. »Es stimmt aber. Die ersten fünfzehntausend Mann werden mit der Schneeschmelze im späten März erwartet. Die nächsten kommen dann im August. In diesem Jahr ist es für große Bauarbeiten schon zu spät, aber durch die Schlacht von Nyenschantz konnte der Bau ja nicht eher beginnen.«
Felten schüttelte wieder den Kopf. »Wenn ich das damals vor zehn Jahren in Holland geahnt hätte, als ich dem Zaren auf dem Schiffsdock begegnete! Ich hätte mich versteckt und mich geweigert, je für ihn zu kochen! Ach, wäre ich doch daheim geblieben!« murmelte er theatralisch.
»Du mußt ja nicht für alle fünfzehntausend Arbeiter kochen! Da hättest du fein was zu tun!« lachte ich. Unsere Pferde trotteten gemächlich über die Ebene. Die Ladenstadt kam in Sicht: Der Wind war lau und trug die Stimmen des versammelten Volkes zu uns. Viele der Bauern boten ihre Waren auf einem Tuch auf der Erde dar. Ich sah dort neben dem Gemüse und dem jungen Obst der Jahreszeit breite, irdene Töpfe und Behälter für Fleisch, Käse und Brot, Ballen von farbenfroh gewebtem Tuch, Bündel gesponnener Wolle in sanften Tönen und Wurzeln und Kräuter gegen Krankheiten aller Art, ehe wir zu den Pferchen für Schweine und Kälber kamen. Die Pferde wurden von dem größten Trubel entfernt gehandelt. Ein Schmied breitete gerade seine frisch geschmiedeten Messer und Werkzeuge aus, und Felten glitt prüfend mit seinen Fingern über die scharfen Klingen. Er zog seinen Korb fester an sich, um sich einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen, und winkte unsere Soldaten heran. Wir machten uns auf den Weg über die Marktstraße. Die Buden dort boten noch ofenwarmes Brot, weichen Käse, frischen Rahm und Butter, über den Winter eingelegtes Obst, herbes Rauchfleisch und saftige Pasteten feil. Andere hatten frische Kräuter im Angebot, und mir lief beim Anblick von all dem Grün das Wasser im Mund zusammen. Felten ersteigerte rasch zwei fettgemästete Ferkel, die seine Soldaten an den Hufen zusammenbanden, ehe sie sich das Vieh an langen Stöcken auf die Schultern luden.
In diesem Augenblick hörte ich eine Frauenstimme hinter mir mit einem Pa stetenbäcker schimpfen: »Das ist viel zuviel Geld, das du von mir verlangst! Das ist Wucher und nichts anderes! An den Pranger
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