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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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überzogen. Die Feier am Abend zuvor war lang gewesen, und sogar er hatte mehr getrunken als üblich. Am Morgen dann hatte er die Schiffsdocks besucht, eine Streiterei zwischen seinen Generälen geschlichtet und schließlich zwei lange, zornige Brief an Alexej und August von Sachsen diktiert. Die Rastlosigkeit und Müdigkeit seiner Seele übertrug sich auf seinen Körper: Seine Beine tanzten unter dem Tisch auf und ab. Er konnte auch sein Gesicht und seine Schultern keinen Augenblick stillhalten.
    Er sah nur flüchtig auf, als Sonnenschein und frische Luft in den Raum wehten. Ich warf meinen Umhang ab, von dem der Staub in kleinen Wolken aufstieg. Meine leichten Ledersandalen waren nun auf einmal schwer an meinen Füßen, und ich war froh, die geschwollenen Beine auf den Schemel legen zu können, als ich mich Peter auf den Schoß setzte. Ich küßte ihn auf die Stirn, und seine Hand legte sich augenblicklich auf meinen Bauch.
    »Was macht unser junger Rekrut? Steht er stramm?« fragte er und küßte mich auf den Hals. Er senkte kurz seine Nase in meinen Ausschnitt und schnupperte. »Hm, du riechst gut, nach frischer Luft! Hat Felten ordentlich was gefunden auf dem Markt? Ich habe Hunger wie ein Stier!«
    »Der Rekrut schwimmt gerade! Ich denke, er wird Matrose«, antwortete ich und griff neugierig zu dem halbfertigen Ukas . Der Anblick der schweren Papierrollen mit der schwarzen dicken Tinte und dem leuchtendroten Siegel, dort, wo Peter schwungvoll seinen Namen hinsetzte, ermüdete mich nie. »Weshalb schreibst du nicht weiter?«
    Er seufzte und schüttelte den Kopf.
    »Weil es nicht geht. Ich kann befehlen, soviel ich mag, es geht einfach nicht! Niemand ist da, der sich dann darum kümmert, meine Befehle umzusetzen! Die Edelleute weigern sich, ihre Söhne in meine Akademie zu geben und ihre Töchter ins Ausland zu schicken …«
    »Kein Wunder!« unterbrach ich ihn. »Wie sollten die jungen damy denn da ihre Tugend bewahren?« lachte ich und schürzte anzüglich die Lippen.
    »Aber sie verstecken auch ihre Söhne lieber unter ihren Leibeigenen, als sie erziehen zu lassen! Und dabei ist es doch zu ihrem eigenen Nutzen. Und wenn ein Bauer eingezogen wird, dann gleicht die Abschiedsfeier eher einer Beerdigung als allem anderen! Nein, ich brauche jemanden – jemanden, der selber gebildet ist, der mehrere Sprachen spricht, der – der ihnen einfach ein Vorbild sein kann!«
    Er kaute auf seiner Oberlippe und sog dabei einige feine Haare seines Schnurrbartes ein.
    »Ich habe jemanden für dich!« sagte ich so plötzlich, wie mir der Gedanke durch den Kopf geschossen war. Ich wußte nun, wie ich den Glücks helfen konnte, ohne sie mit Almosen zu beleidigen. Peter sah mich überrascht an, doch ehe ich ihm weiter erklären konnte, wer die Glücks waren und wie ich sie wiedergefunden hatte, schob sich eine Wand von Schmerz vor meine Augen. Es schien, als ob ein Riese meinen Leib und mein Kind ergriff: Seine rote Faust drückte mit aller Kraft zu und schüttelte mich. Ich schnappte zweimal nach Luft, doch meine Lunge war wie in sich zusammengefallen.
    »Nein«, keuchte ich noch, dann färbte sich mein Rock rot vor Blut, und alle Kraft wich aus meinem Körper. Der Schmerz löschte jedes andere Gefühl in mir aus. Peter fing mich mit einem entsetzten Schrei auf. Er war bei mir, als ich unseren kleinen Sohn im siebten Monat meiner Schwangerschaft unter unendlichem Leid tot zur Welt brachte.
     
    Die folgenden Monate verschwinden in meiner Erinnerung gnädig hinter einem dichten Schleier der Trauer und tiefer Schwermut. In jenen Tagen trübten die dunklen Schwingen der Sorgenvögel zum ersten Mal das Licht meines Gemütes: Biester mit schwarzem Gefieder, die sich mit scharfen Krallen in ein Herz schlagen und sich im Geist einnisten. Niemand kann sie verjagen: niemand, außer dem Menschen selbst, in dem sie brüten und ihre faulen, stinkenden Eier in den Windungen seiner Seele legen. Karoline Glück ließ mich keinen Augenblick alleine: Peter hatte der Familie ein ehemaliges schwedisches Offiziershaus zugewiesen. Ernst Glück sollte in Moskau das erste Gymnasium mit einem mehr als ehrgeizigen Lehrplan aufbauen: Philosophie, Ethik, Politik, Latein, mehrere Sprachen und Arithmetik waren nur einige Fächer, die dort neben der körperlichen Ertüchtigung gelehrt werden sollten. Ernst Glück hatte sich, so sagte mir Karoline, mit dem Zaren gut verstanden: Peter hatte während der Großen Gesandtschaft durch Europa auch Luthers Haus in

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