Die Zauberer 01 - Die Zauberer
ganze Zeug überhaupt lesen müssen?«
»Wieso wir das lesen müssen?« Alannahs Blick war voller Unverständnis. »Vielleicht, weil es unser Bewusstsein erweitert. Weil es uns Dinge vor Augen führt, die wir sonst nie erfahren würden. Weil es uns Geheimnisse enthüllt, die anderen verborgen bleiben. Weil es ein Privileg ist, diese Schriften überhaupt lesen zu dürfen. Such dir eine Antwort aus.«
»Nein.« Aldur schüttelte den Kopf. »Du hast meine Frage nicht verstanden. Sie lautete nicht, warum wir das ganze Zeug lesen müssen, sondern warum wir das ganze Zeug lesen müssen.«
»Was meinst du damit?«
»Du weißt nicht, wovon ich spreche, oder?«
»Ehrlich gesagt - nein.«
Aldur nickte, dann blickte er sich argwöhnisch um, als befürchtete er, man könnte ihn belauschen. Aber Alannah und er waren die Einzigen, die sich zu dieser späten Stunde noch in der Bibliothek aufhielten, die eine aus Wissensdurst, der andere, weil ihn der Ehrgeiz dazu trieb.
»Diese Bücher und Schriftrollen«, sagte er, auf die Regale deutend, die die Wände des Lesesaals säumten, »stellen nur einen Bruchteil des Wissens dar, das in Shakara gehortet ist. Das meiste davon befindet sich in Gewölben und Kammern, zu denen wir Schüler keinen Zutritt haben.«
»Denkst du, das wüsste ich nicht?«, fragte Alannah kopfschüttelnd. »Schön, aber weißt du auch, dass es in diesen anderen Gewölben und Kammern keine Bücher gibt, sondern dort alles Wissen in magischen Kristallen aufbewahrt wird?«
»Auch das ist mir bekannt.«
»Und dass man, um sich jenes Wissen anzueignen, diese Kristalle lediglich berühren und sich konzentrieren muss? Im nächsten Moment geht der gesamte Inhalt auf dein Bewusstsein über. Im Bruchteil eines Augenblicks erfährst du alles, was dir der Verfasser mitzuteilen hatte.«
Alannah sah ihn an. » Das wusste ich nicht.«
»Das ist noch gar nichts. Unglaublich ist, dass man uns diese Möglichkeit, rasch und mehr zu lernen als alle anderen Novizen vor uns, willentlich vorenthält, obwohl das Reich dringend neue Zauberer braucht.« »Nun«, meinte Alannah vorsichtig, »die Meister werden ihre Gründe dafür haben.«
»Durchaus«, bekräftigte Aldur. »In den frühen Tagen des Ordens war es üblich, auch Novizen am Ritual des dthrothan teilhaben zu lassen. Später ist man jedoch davon abgerückt.«
»Wieso?«
Aldur schnaubte verächtlich. »Angeblich hatte diese Art der Wissensvermittlung für einige Novizen nachteilige Folgen - schwache Geister, die den Verstand verloren haben, weil sie der Fülle an Erkenntnissen nicht gewachsen waren.«
»Wie schrecklich«, flüsterte Alannah.
»Schrecklich? Wohl kaum. In jenen Tagen wurde zumindest zweifelsfrei festgestellt, wer zum Zauberer taugt und wer nicht. Halbblütler, Schwachgeistige und Anwärter niederer Herkunft schieden durch dieses Verfahren aus.«
»O Aldur«, sagte Alannah vorwurfsvoll, »was du da sagst, ist grässlich!« »Warum? Weil es auch deinen Liebling treffen würde?«
»Wen meinst du?«
»Tu nicht so! Es ist mehr als offensichtlich, dass du eine Schwäche für ihn hast. Ich frage mich nur, woher diese Schwäche rührt. Ist es körperliche Anziehung, was wirklich schändlich wäre? Oder ist es nur jenes Interesse, das weibliche Wesen allzu oft hilfsbedürftigen, schwachen Kreaturen entgegenbringen, was zwar lächerlich, aber wenigstens irgendwie anrührend wäre.«
»Du ... du sprichst von Granock?«
»Natürlich, von wem sonst?« Aldur grinste übers ganze Gesicht. »Du bist sehr freundlich zu ihm ...«
»Was man von dir und deinen Kumpanen nicht behaupten kann«, entgegnete sie, seine Anschuldigungen einfach übergehend. »Es mag euch gefallen oder nicht, aber der Rat hat Granock als Novizen in Shakara aufgenommen, und das macht ihn zu unserem Mitschüler.«
Aldur schüttelte entschieden den Kopf. »Es mag ihn zu deinem Mitschüler machen, aber ganz gewiss nicht zu meinem. Weil ich die Notwendigkeit erkenne und sie nicht leugne.«
»Von was für einer Notwendigkeit, bitte schön, sprichst du?«
»Von der Notwendigkeit, die reine Lehre zu bewahren«, erwiderte Aldur ohne Zögern. »Was ist uns Elfen denn noch geblieben? Einst hat uns ganz Erdwelt gehört, und wir waren die uneingeschränkten Herrscher. Inzwischen jedoch müssen wir uns das Land teilen. Allerorts kommen Kreaturen
hervorgekrochen, die unverschämte Ansprüche anmelden. Zuerst die Orks, dann die Zwerge, zuletzt die Menschen. Man braucht kein Hellseher zu sein wie
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