Die Zauberer 01 - Die Zauberer
über eine große Gabe, die das Schicksal ihm sicher nicht von ungefähr verliehen hat.« »Wo viel Licht ist, ist auch tiefer Schatten«, knurrte Cethegar.
»Er wird Anleitung brauchen. Das Verständnis eines erfahrenen Lehrers, der ihm beibringt, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden. Jemanden, der trotz aller Schatten das Licht in ihm zur Entfaltung bringt.«
Daraufhin setzte Schweigen ein, das ewig zu dauern schien.
»Aldur, des Aldurans Sohn«, erklang es schließlich. »Du bist als Novize in den Orden von Shakara aufgenommen. Betrachte es als eine Ehre, der du dich würdig erweisen musst.«
»Das - das werde ich«, versicherte Aldur unendlich erleichtert. »Das werde ich, ehrwürdiger Vater!« Er senkte das Haupt abermals, bis seine Stirn den eisigen Boden berührte. »Danke, danke! Ich danke Euch von ganzem Herzen!« »Danke nicht mir, Aldur. Danke dem Schicksal, das dich mit einer solchen Gabe gesegnet hat - und dem Schreiben deines Vaters, das mich milde stimmte.«
»Ich danke Euch«, sagte Aldur dennoch noch einmal. Er war überzeugt, dass es Semias war, dem er seine Aufnahme in den Orden zu verdanken hatte, denn an ihn war die Empfehlung seines
Vaters gerichtet gewesen. Wäre es hingegen nach dem finsteren Cethegar gegangen, wäre er sicherlich abgewiesen worden.
Seine Erleichterung, in den Orden aufgenommen zu sein, war so überwältigend, dass er am Boden kauern blieb, nackt, wie er war. Er merkte nicht, wie sich seine Umgebung veränderte und jemand leise zu ihm trat. Erst als sich weicher Stoff auf seine Schultern legte und wohlig wärmend an ihm herabfloss, regte er sich wieder.
»Erhebe dich, Novize Aldur«, sagte eine Stimme, die süß und unschuldig klang wie der Gesang eines Vogels an einem Frühlingsmorgen.
Aldur blickte auf und stellte fest, dass das Licht erloschen war; er war nicht mehr von grellem Schein umgeben, sondern befand sich inmitten eines kreisrunden Gewölbes. Entlang der Wände, die aus purem Eis zu bestehen schienen und von blau und violett schimmernden Adern durchzogen wurden, standen Frauen und Männer unterschiedlichen Alters, in weiten Roben und mit langen, kunstvoll gearbeiteten Stäben in den Händen. Ihre Blicke waren ernst, ihre Mienen wirkten geradezu gravitätisch.
Die Zauberer von Shakara!
Aldur war eingeschüchtert. Erst jetzt, da ein Umhang um seine Schultern lag, wurde er sich wieder seiner Blöße bewusst, und er errötete. Die Zauberer zeigten keine Regung, ihr forschender Blick blieb auf ihn gerichtet. »Willst du nicht aufstehen?«, fragte die Stimme noch einmal, und noch immer klang sie so sanft und liebevoll, dass sie alle Scham und Bitterkeit aus seinem Herzen vertrieb.
Er schaute an der Gestalt empor, die zu ihm getreten war, und sah schließlich in die anmutigen Züge einer Frau, die ohne Zweifel die schönste war, die er je gesehen hatte. Schwarz gelocktes Haar umrahmte ein vollendetes Gesicht, dessen Teint ein wenig zu dunkel war für eine Elfin. Sie hatte hohe Wangen, einen sinnlichen Mund, und die Augen waren so blau wie die Seen des Waldlandes.
»W-wer seid Ihr?«, brachte Aldur verblüfft hervor.
»Riwanon«, sagte sie mit ihrer betörenden Stimme. »Ich bin deine Meisterin.«
12. NOTHU
Granock war wütend - vor allem auf sich selbst.
In hilflosem Zorn ballte er die Fäuste, während er auf dem eisig kalten Boden kauerte. So hatte er sich das ganz bestimmt nicht vorgestellt...
Als ihm der Zauberer in Andaril begegnet war und ihm etwas von einem besseren Leben, von einer höheren Berufung und einer größeren Welt erzählt hatte, da hatte er ihm geglaubt und war ihm bereitwillig gefolgt. Warum nur?
Welchen Anlass hatte er gehabt, einem Zauberer zu vertrauen, dessen Ohren so spitz waren wie die eines Ferkels und der - mal abgesehen von seinen großartigen Versprechen - immerzu in Rätseln sprach? Granock mochte die Elfen nicht besonders; dazu hatten sie ihm bislang auch noch nie Anlass gegeben. Und wie es aussah, würde sich daran wohl auch nichts ändern. Der Zauberer - Farawyn - hatte von einem Ort gesprochen, an dem er keine Verfolgung zu fürchten bräuchte, an dem er Gleichgesinnte träfe und lernen würde, seine Fähigkeit gezielter einzusetzen. Was aber war stattdessen passiert? Nach zwei Wochen anstrengender Reise hatten sie den Tempel von Shakara zwar tatsächlich erreicht, jedoch war Farawyns Freundlichkeit plötzlich wie weggeblasen gewesen. Er hatte Granock geradezu gezwungen, seine Kleidung abzulegen, und ihn in eine
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