Die zauberhafte Tierhandlung Bd. 4 - Lotte und das Kaninchen-Wunder
sollten. Ich meine, es ist ihr Laden und sie hat im Grunde nichts Falsches getan.«
»Du hattest trotzdem recht«, versicherte Ruby ihr. »Das Kaninchen sah wirklich deprimiert aus.«
»Oh, gut, ich bin froh, dass du das auch so siehst, und ich nicht nur übertrieben reagiert habe.« Lotte warf einen letzten Blick durch die Schaufensterscheibe. »Komm. Lass uns zurück zu mir gehen. Ich möchte Onkel Jack fragen, ob es etwas gibt, das wir tun können.«
Sie machten sich gemächlich auf den Weg und guckten immer wieder zurück zu den dreckigen Scheiben des Ladens. »Mir gefällt es gar nicht, das arme Tier hier zu lassen«, brummte Lotte. »Es sah aus, als hätte es jede Hoffnung aufgegeben. Wie es sich wieder der Wand zugedreht hat. Ich wette, es wird nie aus diesem Käfig genommen, um ein bisschen zu kuscheln.«
»Es ist aber kein sprechendes Kaninchen, oder?«, fragte Ruby.
Lotte zog die Nase kraus und sah einen Moment lang beinah selbst wie ein Kaninchen aus. »Ich glaube nicht … Aber auch wenn es eines wäre, hat es vielleicht vergessen, wie es geht, weil niemand mit ihm redet und es an diesem schrecklichen Ort gefangen ist. Oder es hat es bisher nicht gelernt, so wie es bei Tabitha, der Katze, der Fall war. Es hatte etwas an sich … Als könne es mit seinen wunderschönen großen, sanft dreinblickenden Augen reden.«
»Wir können es nicht bei ihr lassen«, sagte Ruby entschlossen. »Ich schätze, wir könnten es kaufen.«
»Hast du denn Geld?«, fragte Lotte hoffnungsvoll.
Ruby schüttelte den Kopf. »Sam und Joes Futter ist ganz schön teuer. Ich muss ihnen Heuschrecken und, äh, Mäuse und Zeug kaufen …« Sie wusste, wie sehr Lotte Mäuse liebte, daher erwähnte sie Sam und Joes Essgewohnheiten nicht gerne.
»Igitt.« Lotte schüttelte sich. »Ich bin wirklich froh, dass Onkel Jack nur kleine Eidechsen hat. Stell dir vor, unsere Mäuse müssten zusehen, wie die Echsen ihr Mittagessen verspeisen, das wäre grässlich.« Sie seufzte. »Ich habe auch kein Geld. Und ich bezweifle sowieso, dass sie uns das Kaninchen verkaufen würde – bloß um uns eins auszuwischen. Ich nehme an, wir könnten Danny vorschicken.«
»Oder ich könnte meinen Vater darum bitten, wenn wir es ihm erklärten«, schlug Ruby vor. »Er hat Tiere wirklich gern, er würde es verstehen. Er arbeitet gerade nur so viel, ich bekomme ihn kaum zu Gesicht.«
»Hm.« Lotte dachte über Rubys Vater nach. Wenigstens war er wirklich da, wenn Ruby ihn sah. Lotte fragte sich, was ihr eigener Vater wohl gerade machte. Es war ganz schön komisch, sich vorzustellen, dass sie ihm am Wochenende begegnet war, fast so wie jedes andere Kind, dessen Dad nicht die ganze Zeit bei ihm lebte.
Lotte kannte die Leute an der Schule in Netherbride noch immer nicht besonders gut, aber an ihrer alten Schule hatte mindestens ein Drittel der Klasse nicht mit beiden Eltern zusammengelebt. Viele Klassenkameraden hatten Halbbrüder und Halbschwestern gehabt. Das hatte es für Lotte leichter gemacht. Niemand war verwundert gewesen, dass ihr Dad nie da war. Etliche ihrer Freunde standen an den Wochenenden nicht für Pyjamapartys und Ähnliches zur Verfügung, weil sie zu ihren Vätern gefahren waren.
Und dennoch, diese Väter lebten bloß in einer Wohnung etwas weiter entfernt, sie waren nicht auf der Jagd nach Einhörnern im Regenwald des Himalayas verschollen. Und als Lotte ihren Vater gesehen hatte, war er sogar selbst ein Einhorn gewesen. Irgendwie. Und er war auch nicht wirklich da, sondern nur eine Art Vision gewesen, jedenfalls hatte Sofie das behauptet.
»Du bist nicht bloß wegen des Kaninchens so traurig, oder?«, fragte Ruby sanft und berührte ihren Arm.
Lotte blinzelte sie verwirrt an, so versunken war sie in die Erinnerung gewesen. In ihren Augen brannten heiße Tränen. Sie nickte. Es war nicht fair, neidisch auf Ruby zu sein, weil die ihren Dad jeden Tag sah, selbst wenn es nur kurz war. Eine Träne tropfte von Lottes Nase, als sie zum wiederholten Male dachte, wie viel mehr Glück als Danny sie doch hatte. Sie sah plötzlich sein Gesicht vor sich, jenen Ausdruck, als sie ihm erzählte, was sie gesehen hatte. Immerhin war ihr Vater am Leben. Seine Mutter würde keine Magie der Welt zurückbringen.
Aber trotzdem beneidete sie auch Danny fast ein bisschen. Wenigstens hatte er Klarheit, was seine Familie anging. Er war dabei gewesen, als seine Mutter beerdigt wurde. Manchmal ging er mit Blumen zu ihrem Grab. Und sein Vater war jeden Tag bei ihm,
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