Die Zauberlehrlinge
betrogen habe. Dasselbe habe ich mich schon gefragt, als seine Zuckerkrankheit zum ersten Mal diagnostiziert wurde. Und jetzt das. Da kommt man schon ins Nachdenken.«
»Du weißt, dass das lächerlich ist.«
»Ja.« Sie tupfte ihre Augen mit einem Taschentuch ab und putzte sich die Nase. »Natürlich weiß ich das. Und natürlich hoffe ich, dass er wieder gesund wird. Lächerlich. Aber ich kann nicht anders.«
»Ich auch nicht.«
Diese Bemerkung mit ihrer Andeutung von Intimität schien auf einmal zuviel für Iris. »Warum sollte dir daran liegen?« versetzte sie barsch. »Dir bedeutet er nichts.«
»Vielleicht, weil ich sonst niemanden habe, an dem mir liegt.«
»Genau.« Ihr Ausdruck war jetzt hart, gezeichnet von der Qual, die sie durchmachte. »Wenn du selbst eine Familie hättest, würde es dich nicht interessieren, nicht? Du würdest es gar nicht wissen wollen.«
»Du hast leicht reden, weil du weißt, dass ich dir nicht das Gegenteil beweisen kann.«
»Das reicht nicht.« Sie sah auf ihre Uhr. »Ich muss gehen. Blanche wird sich schon fragen, wo ich bin.« Sie stand eilig auf, nahm eine Zehnpfundnote aus ihrer Handtasche und warf sie auf Harrys Seite des Tisches. »Könntest du bitte die Rechnung für mich bezahlen? Das sollte reichen.«
»Es ist nicht nötig, dass du...« Doch als er im Aufstehen ihrem Blick begegnete, erkannte Harry, dass es aus ihrer Sicht zwingend notwendig war. Sie wollte ihm nichts schuldig bleiben, auch nicht in den trivialsten Dingen. Damit sie und er nicht daran erinnert wurden, was sie sich gegenseitig schuldeten, ohne daran etwas ändern zu können.
»Leb wohl, Harry«, sagte sie mit kühler Endgültigkeit.
6. Kapitel
Am nächsten Morgen wirkte Zimmer E318 im National Neurological Hospital warm und dumpf. Die Beatmungsmaschine stieß ihre gemessenen, mütterlichen Atemzüge aus, und eine Vase mit frischer Iris verbreitete symbolische Heiterkeit. Die entfernten Klänge gedämpfter Stimmen und vertrauter Bewegungen verdichteten sich zu einem institutionellen Universum aus Pflege und Mitgefühl. Es umgab Harry von allen Seiten, umschloss ihn und seinen schweigenden Sohn, bezog ihre Vergangenheit ein und das, was sie an Zukunft noch haben mochten.
»Deine Mutter hat meine Verbannung aufgehoben«, bemerkte Harry bei einem seiner einseitigen Konversationsversuche. »Du wirst mich also häufiger sehen. Solange du nichts dagegen hast, heißt das. Wenn du es nicht willst, musst du es sagen. Wir haben natürlich eine Menge aufzuholen. Wenn du willst, erzähle ich dir von mir. Da gibt es nichts Bemerkenswertes zu berichten. Nicht wie bei dir. Ich meine, Mathematik! Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen sollte. Das Quadrat der Hypotenuse ist gleich der Summe der Quadrate auf den beiden anderen Seiten. Darüber kenne ich einen Witz... Na ja, ich nehme an, den willst du sowieso nicht hören. Was würdest du gern hören? Meine Lebensgeschichte? Das lässt sich machen. Ich würde gern deine hören und auch, was du über ein oder zwei Sachen denkst, die mich verwirren. Zum Beispiel die Nachricht, die ich bekommen habe. Wenn sie nicht von deiner Mutter war, von wem war sie dann? Und wozu sollte sie mich veranlassen? Zu fragen, wie du hier gelandet bist, vielleicht? Ein Unfall scheidet offenbar aus. Und ein Selbstmordversuch? Das glaube ich nicht. Nicht bei einem Sohn von mir. Die Barnetts haben oft Pech, aber sie sind niemals selbstzerstörerisch. Also, was dann? Was ist in diesem Hotelzimmer passiert? Ich würde ja versuchen, das herauszufinden - ich verspreche, ich würde es wirklich -, wenn du mir bloß sagen würdest, wo ich anfangen soll.«
Doch David konnte Harry nichts sagen. Und Iris, selbst wenn sie konnte, hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass sie nicht wollte. Harry blieb also nichts anderes übrig, als Shafiq nach der Person zu fragen, die in Mitre Bridge die Nachricht für ihn hinterlassen hatte. Es führte zu nichts. Shafiq wusste nicht einmal das Geschlecht des Anrufers. Er konnte sich auch an keinen besonderen Akzent erinnern.
»Hast du nicht daran gedacht, nach dem Namen zu fragen?«
»Doch, natürlich. Hältst du mich für blöde?« »Und was war die Antwort?« »Gar nichts. Der Anrufer hat aufgelegt.« »Na, großartig!«
»Tut mir leid. Hättest du es besser gemacht?« »Vielleicht. Zum Beispiel hätte ich vielleicht die Stimme erkannt.«
»Wenn derjenige gewusst hätte, dass das möglich gewesen wäre, hätte er eben nicht angerufen, solange du hier warst,
Weitere Kostenlose Bücher