Die Zauberlehrlinge
oder?«
»Nein. Nein, vermutlich nicht.«
»Also...«
»Jemand muss beobachtet haben, was ich mache. Jemand muss mich überwacht haben.«
Das war eine beunruhigende Möglichkeit. So beunruhigend, dass Harry beschloss, sich Mrs. Tandy zu offenbaren. Er wählte dafür seinen nächsten freien Tag, an dem er sie wie üblich als Blumen- und Wasserträger zum Friedhof von Kensal Green begleitete. Mrs. Tandy war mit einem Vetter verheiratet gewesen, was dazu geführt hatte, dass die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen ihren und seinen Angehörigen unauflösbar verwickelt waren. Außerdem kamen die Verwandten Harry manchmal zahlreicher vor als das Unkraut zwischen den überwucherten Gräbern.
Als sie sich nach der anstrengenden Tour zu den verstreut liegenden Gräbern sowie zu den Gedenkstätten der engeren Tandy-Verwandtschaft auf einer Bank erholten, erklärte Harry Mrs. Tandy seine missliche Lage so sachlich, wie es ihm möglich war. Er hatte das Gefühl, ihr seine seltsame Situation begreiflich machen zu müssen. Allerdings war er nicht sicher, ob er sie wissen lassen wollte, wie sehr ihn das alles aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.
In seiner Unsicherheit hatte er nicht mit ihrem Scharfsinn gerechnet.
»Ein ziemlicher Schock für Sie, könnte ich mir vorstellen. So spät im Leben zu entdecken, dass Sie Vater sind.«
»Nur technisch gesehen Vater.«
»Aber der Mann, der sich für den Vater hielt, ist tot, oder? Also sind die technischen Umstände vielleicht unwichtig.«
»Iris findet das nicht.«
»Wessen Bedürftigkeit ist größer, Harry, Davids oder die seiner Mutter?«
»Davids natürlich.«
»Dann sollten Sie vielleicht etwas tun, um ihm zu helfen.«
»Aber was schlagen Sie vor?«
»Finden Sie heraus, was der Grund für sein Koma war und was man tun kann, um ihn zu heilen.«
»Wie denn?«
»Sprechen Sie mit seinem Arzt. Und mit denen, die ihn am besten kannten. Seinen Freunden und Altersgenossen, seinen Mathematikerkollegen, mit irgendwem, der vielleicht die Verfassung kannte, in der er sich in diesem Hotel einschrieb. Oder der weiß, warum ihm vielleicht jemand schaden wollte.« »Aber Iris...«
»Ist seine Mutter. Was wird sie wirklich wissen? Haben Sie selbst beispielsweise Ihrer Mutter erzählt, dass sie einen Enkel hat?«
»Natürlich nicht. Was hätte das für einen Sinn?«
»Sehen Sie, was ich meine?«
»Aber seine Freunde sind vermutlich alle in Amerika.«
»Und seine Exfrau?«
»Die bestimmt, denke ich.«
»Wirklich?« Sie grinste boshaft. »Sie sollten in den Zeitungen nicht bloß die Rennseite lesen, Harry, wirklich. Holen Sie doch mal aus dem Abfallkorb da drüben den Telegraph von gestern, ja?«
»Darin habe ich die verwelkten Blumen eingewickelt.« »Dann wickeln Sie sie wieder aus. Suchen Sie Seite drei oder fünf.«
Achselzuckend und mit widerwilligem Seufzen ging Harry zum Abfallkorb, fischte das Bündel heraus, das die verfaulten Stengel enthielt, strich die Zeitung glatt und versuchte, die feuchten Seiten voneinander zu lösen. »Was genau suche ich eigentlich, Mrs. Tandy?«
»Bringen Sie sie her.«
Harry ließ den Haufen verfaulter Blätter liegen und brachte die Zeitung zur Bank, wo Mrs. Tandy bereits ihre Brille aufgesetzt hatte. Sie nahm die Zeitung mit hochmütigem Lächeln entgegen und legte den Kopf in den Nacken, um schärfer sehen zu können.
»So, dann schauen wir mal, schauen wir mal.« Zwei Seiten mit nassen Rändern wurden sorgfältig getrennt. »Aha, da haben wir's ja. Gestern Abend war im MGM-Kino in der Shaftsbury Avenue eine Filmpremiere. Sicher nicht so glanzvoll wie die, die ich vor dem Krieg miterlebt habe, aber egal. Der Punkt ist, einer der Stars von Dying Easy ist kein anderer als Steve Brancaster. Hier ist ein Bild von ihm, wie er mit seiner bildschönen Frau Hope vor dem Kino ankommt.«
Harry setzte sich neben Mrs. Tandy und starrte die Fotos an. Das größte zeigte, wie ein junges Mitglied des Königshauses aus einer Limousine stieg, doch Harrys Blick wurde von einem anderen Foto angezogen. Wie die Bildunterschrift bestätigte, war die großgewachsene, ein wenig raubtierhafte Gestalt in Smoking und offenem Hemd der Schauspieler Steve Brancaster. Neben ihm - langes, blondes Haar auf nackten Schultern, strahlendes Lächeln, funkelnde Augen, die mit einem erstaunlich tiefen Dekollete um Aufmerksamkeit wetteiferten - stand Hope Brancaster, ehemals Venning, ehemals Gott weiß was.
»Ich nehme an, dass sie noch hier sind«, sagte Mrs.
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