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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Hebamme holen lassen, um Lady Petronillas Leichnam zu waschen und aufzubahren. Madame hatte Sir Hugo klargemacht, daß er sich nicht besinnungslos betrinken durfte, sondern die Nacht im Gebet zu verbringen hatte. Ein paar nachdrückliche Worte an den Verwalter, und Lady Petronillas gesamte Dienerschaft wurde zu Fuß aus dem Haus und in den sinkenden Abend geschickt, und Madame stand höchstpersönlich an der Tür und überprüfte die Habseligkeiten, damit auch ja nichts mitgenommen wurde, was ins Haus gehörte. Dann hatte sie den Totengräbern Anweisungen gegeben und aus dem Dorf zwei kräftige muntere Mädchen holen lassen, die ihr bei der Krankenpflege zur Hand gehen sollten. Sie lief treppauf, treppab: eine unbeugsame Gestalt mit einer Kerze in der Hand, die sich zur gleichen Zeit um eine Bestattung, ein schlimmes Kindbett und einen Haushalt kümmern mußte, der durch diese Tragödien so gelähmt war, daß er der bunt zusammengewürfelten Gästeschar, die ausharrte, nicht die angemessene Gastfreundschaft bieten konnte. Das waren der Richter und seine Schreiber, deren Pferde zu erschöpft waren für die Weiterreise, und ein ungemein alter Dominikaner, der fast kein Wort Englisch sprach und nicht aus dem besten Bett herauszubekommen war, ehe er nicht den ganzen Apfelwein im Keller ausgetrunken hatte.
    Betten und Wäsche, ein Abendessen, ein Leichentuch, zusätzliche Stalljungen, die die Pferde herumführten, bis sie trocken waren, Umschläge und Kräuteraufgüsse und Decken, die am Feuer gewärmt wurden, all das mußte herbeigeschafft werden. Madame befehligte das Gesinde, sie befehligte die Dorfbewohner, und sie befehligte die kleinen Mädchen, die auf einmal über ihr Alter hinaus vernünftig waren. Und als es dunkel wurde und alles im Haus vor Erschöpfung umfiel, hielt sich nur noch Madame auf den Beinen. Treppauf und treppab, hinein und hinaus ging sie mit ihrer Kerze, überblickte alles und hielt alles in Gang. Und jedesmal, wenn sie durch den Söller kam, blickte Sir Hubert auf und musterte sie. Und im Laufe der langen Nacht bemerkte er Dinge, die er vorher nicht gesehen hatte, nein, nicht richtig gesehen hatte. Wie ihr der Kleidersaum um die Füße raschelte, ihr gerades, unbeugsames Rückgrat, ihr stets wachsamer Blick, der Ordnung schlechthin bedeutete, eine Ordnung, die bewirkte, daß ein Haushalt selbst angesichts von Chaos und Katastrophe angemessen und gepflegt weiterlief. Und während er sie hinter kummervoll geschwollenen Lidern musterte, sah er noch andere Dinge, ein Profil wie auf Gemälden mit Heiligen und Engeln, eine Haut, die im Kerzenlicht blaß und glatt wirkte. Und die Fältchen, die auch das schmeichelnde Licht nicht verbergen konnte, erschienen ihm als ein Zeichen von Charakter. Vor Reife. Das äußere Abbild ihrer inneren Tüchtigkeit. Er sah kundige Hände, die kühle nasse Handtücher und heiße feuchte Umschläge brachten. Und er sah, daß sie niemals, niemals aufgab, und das war eine Eigenschaft, die er zu schätzen wußte, da er sie selbst auch zu besitzen meinte.
    Eine Stunde bevor der Morgen heraufdämmerte, stieß Margaret einen furchtbaren Schrei aus. Die Frauen hatten zwar die Bettvorhänge zugezogen, aber der alte Ritter, der im Söller noch immer die Nachtwache hielt, sah benommen zu, wie die Pflegerinnen ein Becken forttrugen, in dem alles lag, was von seinem zweiten Enkelkind geblieben war. Und so war er beinahe erleichtert, als er Madame mit einer flackernden Kerze in der Hand vor sich stehen sah.
    »Mylord, Eurer Schwiegertochter geht es gut, sie wird genesen«, sagte sie.
    »Und mein Junge?« fragte der alte Mann.
    »Der Kleine atmet und schläft ruhig.«
    »Ist er aufgewacht? Hat er gesprochen?«
    »Noch nicht. Aber er scheint zu träumen. Einmal hat er etwas gesagt, aber seine Augen waren geschlossen, und ich weiß nicht, ob ich seine Worte richtig verstanden habe.«
    »Was hat er gesagt?«
    »Die grüne Frau hat einen sehr nassen Palas.«
    Der alte Mann zerbrach sich ein Weilchen den Kopf, dann fragte er mit besorgter Miene: »Ist er noch richtig im Kopf? Wird er wieder wie früher?«
    »Das steht in Gottes Hand«, sagte Madame, aber Sir Hubert sah Tränen in ihren Augen glänzen, und da begriff er, was ihre unermüdliche Energie sie in dieser Nacht gekostet hatte: ungeweinte Tränen und verdrängten Kummer. Diesen Preis kannte er auch.
    »Madame Agathe, Ihr seid sehr gut zu uns gewesen«, sagte er.
    »Das ist meine Pflicht«, sagte Madame und wandte jäh das Gesicht

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