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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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neigten den Kopf, während die beiden Priester lateinische Gebete intonierten, endlose Gebete. Arbeiter errichteten das Fundament, und der Dorfschreiner beaufsichtigte das Aufstellen des kleinen Schreins auf seinem neuen Unterbau. Hammerschläge hallten durch den Wald, doch die Menschen waren eigenartig still. Sir Roger musterte sie, die Reiter mit gezogenem Hut, die hohen Damen, die ruhig im Sattel saßen, die Dorfbewohner, die von einem Fuß auf den anderen traten.
    »Ein Hoch auf die heilige Edburga!« rief der Priester. Das schwache Echo aus der Menge schien ihn zu ärgern. »Lauter! Was ist los mit euch?« Er stand an der Stelle, wo der runde lichtgefleckte Weiher zum Bach wurde, der der Burg das Wasser zuführte, den Burggraben speiste und Mensch und Tier zu trinken gab. Die Dorfbewohner sahen an ihm vorbei. Was hatte ihre Aufmerksamkeit erregt? Plötzlich drehte sich der Priester mit neuem Argwohn zu dem großem Felsen mit den verblichenen Lappen um. »Der Stein gehört der heiligen Edburga! Sie mag keine heidnischen Opfergaben!« rief er und begab sich daran, die Schnüre abzureißen, mit denen der Felsen umwickelt war.
    Entsetzt wichen die Dorfbewohner zurück; die Pferde tänzelten und warfen den Kopf hoch. »Weg damit!« schrie er. »Jeder einzelne Fetzen, weg damit!« Er riß die unterste Schnur ab und warf die Lappen in den Weiher, wo sie spurlos verschwanden. Über seinem Kopf flatterten fahle Lappen gerade außerhalb seiner Reichweite frech in der Brise. Die oberste Schnur schien sich auf der Wasserseite an der Felsspitze verhakt zu haben. Ohne zu zögern kletterte der Priester auf den Felsen. Mit untrüglicher Sicherheit fanden die Spitzen seiner Stiefel und seine krallenden Finger in kleinen Ritzen Halt, so daß er bis ganz nach oben gelangte. Die oberste Schnur schien an irgend etwas befestigt zu sein – einem Bolzen, einem Nagel. Er zog tüchtig daran, um die verwitterte weiße Schnur zu zerreißen. Er zog noch einmal und stemmte sich dabei gegen den Felsen. Jählings und unvorhersehbar lösten sich Schnur und Befestigung, so schnell, daß er das Gleichgewicht verlor und rücklings vom Felsen fiel.
    Der Priester schrie auf, schlug um sich, hielt aber noch immer die Schnur mit den Lappen fest. Frauen kreischten. Dann platschte es laut, und die Menge sah, wie er im seichten Wasser zappelte und aufstehen wollte, aber im Schlamm und auf den bemoosten Steinen des Weihergrundes ausrutschte. Die Schnur hielt er noch immer umklammert, und die nassen Lappen schlugen ihm bei seinem Gefuchtel um die Ohren. Irgend etwas, ein unsichtbarer Sog, schien an ihm zu ziehen.
    »Los Männer, holt Stangen, tut etwas!« schrie der Herr von Brokesford, aber die Menschen rührten sich nicht vom Fleck: Mit aufgerissenen Augen drängten sie sich zusammen. Ohne zu zögern spornte Sir Hubert seine große Fuchsstute an und trieb sie in das seichte Wasser, bückte sich im Sattel und packte den Arm des um sich schlagenden Priesters. Genau in dem Augenblick, als er das Gleichgewicht nicht wahren konnte, weil er den Arm ausstreckte, scheute seine sonst so friedliche alte Stute und warf Sir Hubert ab und ins Wasser. Grüne Algen spuckend kam er auf die Knie, das weiße Haar hing ihm triefend in die Augen. Er spürte, wie etwas an ihm zerrte, ihn in die Tiefe ziehen wollte. Blindlings griff er nach dem Steigbügel der Stute und hielt sich fest. Und das verschreckte Pferd zog ihn, spuckend und verdreckt, aus dem Weiher, wo er dann nach Luft ringend am Ufer lag. Während Hände sich um ihn bemühten, seine Kleidung zu säubern und seinen Hut auszuwringen versuchten, drehte er sich um und musterte den Weiher. In der Mitte schwammen nur noch ein paar weiße Lappen an einem Stückchen verblichener Schnur. Dann brodelte es wie in einem Kochkessel, und auch die letzten Lappen verschwanden. Von dem Priester war nichts mehr zu sehen.
    »Holt Haken«, sagte der alte Lord, der in Krisen stets zu Höchstform auflief. »Holt die langen Piken aus der Burg. Holt Stangen. Den Weiher hier fischen wir nach Sir Roger ab, und wenn es die ganze Nacht dauert.« Starke Männer liefen los, während sich Frauen und Kinder aneinander festhielten. Den ganzen Nachmittag stocherten und zerrten sie, während die bemalte Heilige, deren Trage vergessen neben dem Schrein stand, bekümmert auf sie herabblickte. Schließlich kam jemand auf den Gedanken, ein Seil zu holen und den Weiher auszuloten. Es war ein sehr langes Seil, dessen Ende man mit einem Stein

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