Die Zauberquelle
beschwerte. Man kam nicht bis zum Grund der Quelle, und der Sog an dem Seil war so stark, daß man loslassen mußte; alsdann hörte man ein seltsames Schlürfen, und schon war es verschwunden. Da wußten alle, daß man Sir Roger nie mehr herausfischen würde. Mit Karren und Pferden, Statue und Fahnen, Silberkreuz und Sonntagsstaat zogen sie in der dunkelblauen Abenddämmerung betrübt zum Dorf zurück.
Später, als die Sterne am nächtlichen Firmament aufzogen und eine silbrige Mondsichel den Weg wies, trieb es den schlaflosen Sir Hubert aus seiner Kammer im Bergfried in das große Zimmer unter seinem eigenen, wo Sir Hugo und seine Frau in einem großen Bett mit Strohschütte schliefen; das Bett war lediglich durch Vorhänge von den Knappen, Dienern und Jagdhunden des Gefolges getrennt.
»Hugo, steh auf«, flüsterte der alte Lord und zog die mottenzerfressenen wollenen Vorhänge beiseite. Hugo war sehr zufrieden mit sich, da er überzeugt war, an diesem Abend einen Erben gezeugt zu haben. Lady Petronilla kehrte ihm den Rücken zu und schnarchte.
»Was ist, Vater?« sagte Hugo, ärgerlich über die Störung.
»Ich muß dringend etwas erledigen. Steh auf und reite mit.« Sir Hubert hielt zwei nicht angezündete Hornlaternen in der Hand. Hugo holte sich Hemd und Wams von der Sitzstange über seinem Kopf, wo er sie neben seinem Lieblingsfalken aufgehängt hatte, der schlafend dahockte. Als er sich anzog, hörte er seinen Vater durch den Söller, in dem weitere Jagdhunde und Gesinde schliefen, und dann die steinerne Wendeltreppe hinunter in den Palas gehen. Dort schlich sich der alte Mann auf Zehenspitzen an den schlafenden Körpern auf dem Fußboden vorbei und entzündete die Laternen an der abgedeckten Glut der großen Feuerstelle in der Mitte. Darüber hingen Schinken im Rauch unter dem Dach. Selbst die Hühner schliefen, hockten außer Reichweite von Katzen und Hunden auf sicheren Plätzen.
Verwundert folgte Hugo seinem Vater in den Pferdestall, wo sie vorsichtig über die im Stroh schlafenden Stallburschen hinwegstiegen und zwei Pferde sattelten. Leise, leise führten sie die Pferde durch das Burgtor.
»Wohin wollt Ihr, Vater?« fragte der Jüngere.
»Hugo, wenn du auch nur einen Funken Grips hättest, dann wüßtest du es«, gab dieser zurück.
Quer über die dunkle Koppel schwankten die beiden Laternen wie Fünkchen, aber niemand war wach, der das gedämpfte Hufgetrappel im Gras gehört hätte. Die Funken hüpften im Schein der schmalen hellen Mondsichel weiter, bis sie im Wald verschwanden. Im Schutz des Laubes ritten die beiden Männer leise und wachsam dahin. Nachts waren die wilden Tiere unterwegs, nicht die sanften, die sich töten und verspeisen ließen. Schließlich erreichten sie die dunkelste Stelle und dann die Lichtung. Bei Nacht lag der Weiher schwarz da, doch das Brodeln hörte sich in der nächtlichen Stille eher noch lauter an.
»Hugo, halt mein Pferd«, sagte der alte Lord. Er stieg vom Pferd und stellte sich mit dem Hut in einer und der flackernden Laterne in der anderen Hand an den Weiherrand. Überall waren noch Anzeichen der Rettungsaktion zu sehen, viele Fuß- und Hufabdrucke im Morast, frisch geschnittene und dann weggeworfene belaubte Stecken. Ein Mondstrahl drang durch das dichte Laub und tanzte hell wie ein lebendiges Wesen mitten auf der glucksenden schwarzen Quelle.
»Hör mich an, wer auch immer du sein magst«, sagte der alte Lord. »Du hast gerade den einzigen Priester verschluckt, der Jagen am Sonntag gebilligt hat. Weißt du eigentlich, daß mir die Sorgen über den Kopf wachsen? Das Gestüt von Brokesford gibt es nicht mehr: Ich habe nur einen einzigen Hengst mit nach Haus gebracht, und das ist Urgan, und selbst der ist noch immer krank von dem gottserbärmlichen französischen Futter. Alle schulden mir Geld, und niemand zahlt. Der Weizen hat nicht gekeimt, der Roggen hat die Braunfäule, und das Obst ist klein und wurmstichig. Am anderen Ende der Grafschaft grassiert eine Viehseuche, und die kann mir den Rest geben. Zu allem Überfluß soll in Bristol schon wieder die Pest aufgetreten sein, und wenn von uns keiner mehr ist, dann bedeutet das auch dein Ende, ist dir das klar? Diese Familie ist alles, was zwischen dir und den Händlern steht. Der unverschämte Advokat hat ein Auge auf deine Eichen geworfen, und ich habe keinen roten Heller für die Gerichtskosten, ganz zu schweigen von Bestechungsgeldern. Was wißt ihr Wesen aus dem Wald schon von Advokaten? Aber die
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