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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Pferdeknecht.
    »Ja«, sagte Alison. »Da sind Fische drin. Und weißt du, was die machen? Die machen Pipi. Und das trinkst du dann. Fischpipi. Wenn du nicht Ale daraus machst.« Sie war enttäuscht, als der Knecht ungerührt blieb.
    »Da ist jetzt mehr drin als bloß Fische«, antwortete er mit einem verschlagenen Grinsen. »Nämlich ein Toter. Und man hat den Weiher mit Haken abgefischt, hat die Leiche aber nicht rausgeholt.« Doch statt bei seinen Hörerinnen Entsetzen auszulösen, waren die Mädchen auf makabre Weise fasziniert.
    »Ehrlich? Wessen Leiche denn?« fragte Cecily in gleichmütigem Ton.
    »Die von einem Priester. Er hat die Lappen vom Felsen gerissen, und da hat ihn der Weiher aus Rache einfach verschluckt.«
    »Ach, da ist er also geblieben«, meinte Alison. »Keiner wollte uns sagen, wo er ist. Alle sind einfach still geworden.«
    »Hat er gekreischt und geblubbert?« fragte Cecily.
    »O ja, und laut gebetet, aber alles umsonst, weil im Weiher ein Teufel haust.«
    »Ein Teufel? Ist er rot und spuckt er Feuer? Hast du ihn gesehen?«
    »Den sieht keiner. Es gibt Leute, die beten ihn an, aber ich halte mich an Jesus Christus und geh' nicht an den Weiher, auch wenn ich das Wasser trinken muß. Tun wir doch alle. Ist der neue Priester erst mal da, muß er ihn exorzieren. Dann ist der Weiher wieder sauber.«
    »Psst, ich kann ihn hören. Da ist sie.« Sie hielten hinter den überwachsenen steinernen Ruinen neben dem Eibentempel an. Wie Katzen rutschten die kleinen Mädchen leise vom Pferd und reichten dem Knecht die Zügel. Dann schlichen sie auf Zehenspitzen über die toten Blätter und versteckten sich hinter dem großen Stein am Weiherrand. Ohne die verblichenen Lappen, die ihn umflattert hatten, wirkte der Felsen nackt und kahl. Er zeigte ein geflecktes helles Grau, das hier und da auffunkelte, wenn die Sonne darauf fiel, und sah aus wie ein Riesenei. Nicht die Natur, sondern Menschenhand hatte ihn auf dem breiteren Ende aufgestellt. Mitten im grünen Weiher brodelte es so gewaltig wie in einem Kochkessel. Und am Rand stand Lady Petronilla und singsangte etwas Unverständliches. Die Augen quollen ihr aus dem Kopf, ihre Haut sah wieder schlimm aus, ganz gelblichbraun, und ihr Gesicht wirkte aufgedunsen. Haarsträhnen wehten ihr ums Gesicht, obschon ihr Schleier, den sie mit langen Nadeln befestigt hatte, noch oben thronte. Sie schien englisch zu sprechen, aber die Worte waren wahllos zusammengestellt und sinnlos und wurden so tonlos geleiert, daß sie kaum zu verstehen waren.
    Und als sie den Weiher dann in Richtung der Sonne umrundete, verzogen sich die Mädchen, weil sie nicht entdeckt werden wollten. Etwas an ihr, eine Art Aura, ließ ihnen die Haare zu Berge stehen. Auf der anderen Seite des Weihers kniete Petronilla nieder. Sie trank jetzt – nein –, sie küßte das Wasser und ließ es in ihr Mieder rinnen. Die Mädchen sahen ihr hingerissen zu. Der Stallknecht hinter den Steinen sah sie auch, erschauerte bei dem Anblick und bekreuzigte sich.
    Sie kam mit tropfendem Kleid hoch, und auch aus ihrem Mund tropfte Wasser; dann holte sie etwas aus dem Beutel an ihrem Gürtel neben dem Dolch, den sie immer bei sich hatte. Das schleuderte sie mit einer wilden Geste in die Fluten. Es trieb vom Ufer des Weihers fort wie ein kleines Boot und wurde zur brodelnden Mitte gezogen.
    »Nimm ihn, nimm ihn!« schrie sie mit glühenden Augen.
    »Du, Cecily, das ist ja Peregrines Schuh«, wisperte Alison. »Der, den Mama gemacht hat. Da wird sie aber böse.«
    »Was willst du? Geld? Blut? O ja, du sollst es haben, alles sollst du haben.« Und dann lachte Lady Petronilla wie eine Irre. Sie nahm ihren Beutel, holte Kupfermünzen heraus und warf sie ins Wasser. Sie platschten auf und verschwanden. Plötzlich machte sie auf den Hacken kehrt. »Verräter!« kreischte sie und flüchtete sich zu ihrer angebundenen Stute.
    »Den hole ich Mutter wieder«, sagte Cecily und watete in das seichte Wasser dicht bei dem riesigen Felsbrocken. Peregrines Schuh aus hellem, weichem Rehleder wurde langsam naß, dunkel und schwer. Er drehte sich außer Reichweite in den Strudeln vor der brodelnden Mitte.
    »Cecily, da ist es tief«, sagte Alison. »In der Mitte ist ein Loch.«
    »Hier ist es nicht tief. Gib mir den Ast da und halt mich am Kleid fest.« Vorsichtig tastete sie sich auf nackten Füßen vor, spürte den weichen Schlamm zwischen ihren Zehen. Ja, hier hatte sie noch Grund. Sie machte noch einen Schritt. Das Schühchen war

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