Die Zauberquelle
jetzt vollkommen durchnäßt, trieb aber noch immer oben, als würde er von irgend etwas getragen, was Cecily weiterlocken wollte. Cecily wagte noch einen Schritt. Der Knecht war abgestiegen, lief herbei und sah zu.
»Komm zurück, sonst wirst du geschluckt!« schrie er.
»Ich hab ihn!« jubelte Cecily und hatte das Schühchen fein säuberlich am Haken, gerade als es zu versinken drohte.
»Gelobt sei Gott!« rief der Knecht, als sie aus dem brodelnden tiefen Wasser zurückkam.
»Guck mal, all das Geld und die kleinen Sachen da drin«, sagte Alison, die im seichten Wasser herumwatete und auf den Grund blickte. Sie konnte ihre Füße in dem grünen Wasser gerade noch ausmachen.
»Nicht nehmen, sie gehören dem Weiher«, schrie der entsetzte Knecht vom Ufer her. Für kein Geld der Welt hätte er auch nur einen Fuß in den Weiher mit seiner trügerisch glatten Oberfläche und der ständig brodelnden Mitte gesetzt. Er hatte einen Priester verschluckt, und jetzt hatte er Lady Petronilla den Verstand geraubt, soviel stand fest.
»Der Weiher hat sie nicht angenommen«, rief Alison.
»Da hast du sie! Da hast du sie!« Lachend und jubelnd schöpfte sie die kleinen Opfergaben hoch, die im Schlamm lagen, und schleuderte sie zur Teichmitte. Dann fing sie an, im seichten Wasser mit erhobenen Armen zu tanzen, drehte sich und sang dazu.
»Es ist kühl und angenehm!« rief Cecily, die sich das Schühchen ans Handgelenk gebunden hatte, damit sie es nicht verlor. Auch sie fing an zu planschen und zu tanzen. »Komm auch rein!« Bei jedem Schritt spritzte das grüne Wasser und näßte ihre leichten Sommerkittel, daß sie am Körper klebten. Sonnenstrahlen durchbrachen das grüne Laub und glänzten auf ihrem wehenden Haar, ließen es golden aufschimmern. Vögel zwitscherten in dem dunklen Eibentempel. Dann schöpften sie Wasser und bespritzten sich, lachten und kreischten.
»Aufhören, aufhören!« rief der Pferdeknecht, der am Kamin seiner Großmutter aufgewachsen war und von ihr in das Geheimnis des Weihers eingeführt worden war. Der Weiher war die Quelle für alles, was wuchs. Seit grauer Vorzeit wagte niemand, wirklich niemand, den Fuß hineinzusetzen. Außer…
Das Gebrodel in der Mitte hörte auf. Der Knecht fiel auf die Knie, bekreuzigte sich und fing an zu beten.
»Du, Cecily, er blubbert nicht mehr«, sagte Alison und zeigte auf die Mitte. Die Fluten waren still, sehr still geworden. Die beiden Mädchen standen patschnaß da, während das grüne Wasser ihre Knie sacht umplätscherte. Etwas bewegte sich mitten im Weiher, etwas Dunkles und Glattes kam mit langen Wellenbewegungen auf sie zugeschwommen.
»Es ist wahr«, flüsterte der Knecht, als er den schattenhaften Umriß erblickte. »Alles ist wahr.«
»Du, Alison, so einen großen Aal habe ich noch nie gesehen«, sagte Cecily und zeigte auf das, was da im Wasser schwamm.
»Halt ganz still, er schwimmt um uns rum. Du, ich kann seine Augen sehen. Uiii. Jetzt schwimmt er mir um die Beine. Das kitzelt.«
»Ob er beißt?« fragte Cecily, während der riesige Aal ihr um die Knöchel schwamm.
»Mich hat er nicht gebissen«, verkündete Alison. Der Knecht wagte kaum noch, sich zu bewegen. Er spürte, wie ihm der Atem stockte, sah den dunklen Schatten dicht unter der Wasseroberfläche wellenförmig durch den Weiher gleiten und verschwinden. In der Teichmitte zeigten sich ein paar kleine Blasen, schimmernde Ringe stiegen hoch, in denen sich dunkle Eiben und Sonnenflecken spiegelten. Dann kamen noch mehr Blasen und noch mehr. In der Mitte des Weihers war so etwas wie »blubb, blubb« zu hören, und dann begann er wieder zu brodeln und zu wallen, als ob er nie damit aufgehört hätte.
»Du, er hat wieder angefangen.«
»Der Aal muß im tiefen Teil sitzen. Ich kann ihn nicht mehr sehen.«
»Die Sonne steht schon sehr niedrig, Cecily. Ob wir wohl das Abendessen verpaßt haben? Ich habe heute morgen mitgekriegt, daß sie lombardische Creme machen wollten.« Sie blickten sich um und sahen den Knecht immer noch auf den Knien liegen und seinen Rosenkranz beten, während die Pferde frei herumliefen.
»Du, John, die Pferde sind ausgerückt. Hast du vergessen, sie anzubinden?« Erschrocken musterte er die beiden patschnassen barfüßigen Mädchen, in deren leuchtendem Haar sich die Sonne fing.
»Erzählt das bloß niemandem«, sagte John, der Knecht. Und da sie dachten, er meinte die Pferde, die er nicht angebunden hatte, nickten sie. Schließlich würde John sie noch
Weitere Kostenlose Bücher