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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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verschrien, denn die Mönche berechneten den Zehnten und Fronarbeit genauer als der lasche, freigebige und häufig abwesende Seigneur von Brokesford.
    Die kleine Kirche platzte schier aus den Nähten bei all dem frommen Volk, und die Gebete vor und nach der Schlüsselübergabe an den neuen Priester wiesen eine zufriedenstellende Länge auf. Natürlich musterten ihn alle Frauen sehr sorgfältig und äußerten sich zu seinem ehrlichen grobschlächtigen Gesicht, seiner Jugend, seinen großen Füßen und der Qualität der Wolle, aus der seine Priesterrobe geschneidert war. Seine Stola fand allgemeine Bewunderung, da verlautete, sie sei ein eigenhändig von seiner alten Mutter angefertigtes Geschenk. Einfach alles und dazu noch ein Maulesel, wurde getuschelt. Eins von den Mädchen konnte sein Glück machen und als seine ›Haushälterin‹ ein angenehmes Leben führen, auch wenn ihr der unschätzbare Vorteil der Ehe selbst nicht zuteil wurde. Der neue Priester zelebrierte die Messe in äußerst unverständlichem und deshalb ungemein heiligem Latein, und der Kanoniker höchstpersönlich reichte ihm den neuen prächtigen Hostienteller mit dem geweihten Leib Christi. Alles in allem bot die Zeremonie bis Michaeli genügend Stoff zum Klatschen, und dabei hatte das Fest noch nicht einmal angefangen, und das versprach zweierlei: Fettlebe und einen fetten Skandal.

    Man hatte im Hof aufgedeckt und weitere Tische in den Palas gequetscht, und Dutzende von Küchenjungen liefen ein und aus, trugen riesige Mengen von Ale herbei und leere Schüsseln davon. Auf der Estrade warteten die Söhne des Hauses höchstpersönlich dem Kanoniker und dem Abt auf und legten ihnen zierlich vor, während am Frauentisch, in sicherer Entfernung von den geistlichen Männern, munter geplaudert wurde.
    Draußen krakeelten und sangen die Bauern und stießen auf den Lord, den neuen Priester und die Erben des Hauses an. Der Wein wurde auf der Estrade für erlesen befunden, und der gebratene vergoldete Schwan auf seinem Bett aus Püree, das wie Wellen geformt war, wurde als Meisterwerk gepriesen. Margarets Brot war himmlisch zart, die Kruste der Lerchenpastete himmlisch knusprig, und die Unterhaltung, die gemietete Spielleute zwischen den Gängen boten, war leicht und witzig.
    Vielleicht überlebe ich das Ganze ja doch, dachte der Herr von Brokesford. Hauptsache, sie ziehen ab und denken, wir sind reich, mächtig und glücklich. Vor allem der Abt. Es gefällt mir gar nicht, wie seine Augen die Silberschüsseln auf dem Tisch zu zählen scheinen. Verdammt, hätte ich doch nur doppelt so viele. Er konnte sehen, daß die Gäste die schönen Falken auf ihren Sitzstangen, die altehrwürdigen Streitäxte an den Wänden und das gute Dutzend seiner stattlichen Jagdhunde bewunderten, die unter dem Tisch lagen und die weggeworfenen Knochen von ganzen Schweine- und Schafherden benagten, die man zur Feier des Tages geopfert hatte. Wenn die wüßten, dachte er. Mißgeburten im Bergfried und Mißgeburten im Hundezwinger. Mein Leben liegt in Scherben, und irgendwie, warum, weiß ich auch nicht, ist Gilbert daran schuld. Laut befahl er, mehr Wein aufzutragen. Je betrunkener sie sind, desto weniger merken sie, sagte sich Sir Hubert und leerte selbst Becher um Becher.
    Nach dem dritten Gang, einem vergoldeten Pfau, der zu Trompetengeschmetter aufgetragen wurde, blickte der Herr von Brokesford von seinem Teller auf und sah etwas Entsetzliches. Sir Hugo wurde blaß, Sir Gilbert kniff die Lippen zusammen, und am Damentisch verstummte das Geplauder. Wie auf ein Stichwort hin hörten auch alle anderen im Raum auf zu reden, nur nicht die geistlichen Gäste, die nicht ganz begriffen, was da vor sich ging. Eine Frau in Schwarz war am Fuß der Treppe aufgetaucht, die nach oben zum Söller und von dort zum Übergang in den Bergfried führte.
    Lady Petronillas Gesicht war aufgedunsen, entstellt und bleich, unter ihren Augen lagen dunkle Ringe. Ihre Zöpfe hatten sich gelöst, und feuchte Haarzotteln hingen ihr ums Gesicht. Den schwarzen Schleier des Succubus hatte sie abgelegt und den Versuch gemacht, den zarten weißen Leinenschleier, den sie vom herzoglichen Hof mitgebracht hatte, zu befestigen. Aber er saß schief auf dem aufgelösten Haar, da ihn nur eine einzige, wahllos hineingesteckte Nadel hielt. Sie hatte sich ihren silbern bestickten schwarzen Surkot angezogen, doch er war so zerknautscht, als hätte sie darin geschlafen, und von einem verkrusteten gelblichen Fleck verunziert.

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