Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)
Nase vollgehabt und ihr aufgetragen, ihrer Mutter auszurichten, sie solle nicht so oft zu Besuch kommen.
»Sag ihm, als er dich geheiratet hat, hat er auch deine Familie geheiratet«, befahl meine Großmutter meiner Mom.
Meine Mutter tat wie geheißen. Dad sagte nichts, und damit war das Thema erledigt. Er wusste, welchen Preis er für die Heirat mit der hübschen Maxine Elaine zu zahlen hatte. (Ich finde es höchst bemerkenswert, dass er, der sonst kein Blatt vor den Mund nahm, sich nicht persönlich bei Grandmom beschwert hat. Das bestätigt mich in meiner Vermutung, dass sie der einzige Mensch auf der ganzen Welt war, der meinen Vater einzuschüchtern vermochte.)
Onkel Morris nannte ich immer meinen Santa Claus, denn er hatte immer eine Kleinigkeit für mich dabei (und das, obwohl wir uns fast täglich sahen). Mal waren es Pfefferminzbonbons, mal eine lebensgroße Raggedy-Ann-Puppe, die ich übrigens, als ich acht war, im Beisein sämtlicher Familienmitglieder im Rahmen einer schlichten Trauungszeremonie mit meiner lebensgroßen Giraffe von FAO Schwarz vermählt habe.
Onkel Morris führte einen Spirituosenladen in der South Broad Street in South Philadelphia. Angeblich hatte er sich als einer der Ersten gleich nach dem Ende der Prohibition eine Konzession besorgt. Wie, das wusste niemand. Ich sollte ihn irgendwann danach fragen. Gelegentlich hatte ich den Eindruck, dass Onkel Morris einen Teil seines Lebens vor uns geheim hielt. Er hat wie gesagt nie geheiratet, weil er sich nach dem Tod seiner Eltern verpflichtet fühlte, für seine Schwestern zu sorgen. Als irgendwann nur noch er und meine Großmutter übrig waren, sagte sie zu ihm: »Ich komme sehr gut ohne dich zurecht, Morris. Such dir endlich eine Frau!« Da war mein Onkel bereits um die achtzig.
Doch er blieb ledig. In seinen Fotoalben ist er zwar mit wechselnden Damenbekanntschaften zu sehen, aber geheiratet hat er keine davon. Für ihn stand die Sorge um seine Familie eben immer an erster Stelle. Bewundernswert, nicht?
Während des Zweiten Weltkriegs stellte er sicher, dass meiner Großmutter die Strümpfe und meiner Mutter die Kaugummis nicht ausgingen, obwohl damals beides ziemlich knapp war. Als in den 50er Jahren die Kaschmirpullover in Mode kamen, besaß meine Mutter sechs Stück. Er war unser aller Santa Claus.
Mit diesem Wissen über die Familie Firestein/Salis ausgestattet, werden Sie mir bestimmt Recht geben, wenn ich behaupte, dass diese Leute etwas Besonderes waren.
Somit kann ich mich nun der eigentlichen Geschichte widmen, sprich, der Schilderung der Nummer drei aus der Reihe »die zehn besten Tage meines Lebens«. Da ich mich leider für einen einzigen Tag entscheiden muss, fällt meine Wahl auf den letzten unbeschwerten Tag mit diesen drei Menschen.
Nur noch eine Kleinigkeit vorweg: Sowohl meine Großeltern als auch Onkel Morris hatten Probleme mit dem Herzen. Keine sonderlich dramatischen; eine gesündere Ernährung und regelmäßige Bewegung hätten zur Vorbeugung bestimmt völlig ausgereicht. Abgesehen vom Tanzen trieb unsere Familie nämlich keinerlei Sport. Soweit ich weiß, haben sie in ihren letzten Lebensjahren lediglich auf Salz verzichtet. Ihre gesamte Ernährung war absolut salz- und damit auch weitgehend geschmacksfrei. Wie unentbehrlich Salz für den Geschmack ist, wird einem ja erst klar, wenn man keines mehr essen darf. Maiskolben ohne gesalzene Butter oder ungesalzene Kartoffeln, bäh. Es gab keine in Ketchup marinierte Rinderbrust mehr, keine koscheren gepökelten Hühnerkeulen oder -schenkel, keine mit zusätzlichen Suppenwürfeln eingedickte Matzebällchensuppe, ja, noch nicht einmal ein Stück gesalzener Butter auf einem Zwiebelbagel. Es gab nur noch Eiweiß mit Weizentoastbrot und trockenes weißes Hühnerfleisch und Fisch, der nach nichts schmeckte. Aber das war auch schon alles, was sich in meinen elfjährigen Augen geändert hatte. Es störte mich auch nicht sonderlich. Ich nahm es einfach hin. Wenn ich bei meinen Großeltern aß und man mir Salz anbot, lehnte ich stets ab. Mein Essen vor ihren Augen großzügig mit der köstlichen weißen Würze aufzupeppen, während sie schweren Herzens darauf verzichteten, das wäre mir vorgekommen wie ein Schlag ins Gesicht. Ich hatte schon bei der Vorstellung ein schlechtes Gewissen, also ließ ich es bleiben. Ach ja, Grandmom musste außerdem ein Pflaster am Arm tragen. Über dem Ellbogen. Als ich wissen wollte, ob sie womöglich gestürzt sei, meinte sie nur, nein,
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