Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)
das Pflaster enthalte Glycerin und sorge dafür, dass sie sich besser fühle. Was es damit genau auf sich hatte, begriff ich erst viel später.
Ansonsten ging das Leben ganz normal weiter. Es wurde kein großes Tamtam um die salzarme Kost oder das Pflaster gemacht. Möglich, dass sie sich in meiner Gegenwart zurückhielten, um mich nicht zu beunruhigen. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, dass sie mir je Anlass zur Beunruhigung geliefert hätten.
So, jetzt habe ich aber wirklich weit genug ausgeholt und kann endlich zur Sache kommen.
Also: An unserem letzten gemeinsamen Abend sahen wir uns im Walnut Theater in Philadelphia das Musical Annie an. Ich war total aus dem Häuschen. Es war ein regelrechtes Großereignis. Penelope durfte mitkommen, und ich durfte ein Restaurant aussuchen, in dem wir vor der Aufführung essen gehen würden. Erst entschied ich mich für Murray’s Deli (ich war seit jeher ein riesiger Borschtsch-Fan), aber meine Großmutter meinte: »Eine Kohlsuppe kann ich dir daheim auch kochen, und eine bessere obendrein. Such ein anderes Restaurant aus.« Meine Wahl fiel auf das Bennihanna.
»Wo das Essen immer so versalzen ist?«, beschwerte sie sich. »Da fällt dir bestimmt noch etwas Besseres ein.«
Um ihr eine Freude zu machen, nannte ich ein Restaurant, von dem ich wusste, dass sie es liebte.
»Wie wär’s mit dem Bookbinders?«
»Hervorragende Idee!« Sie umarmte mich. »Du bist das klügste Mädchen auf der ganzen Welt.«
Das Bookbinders ist ein sehr bekanntes Fischrestaurant in Philadelphia, das es schon eine halbe Ewigkeit gibt. Meine Großeltern und mein Onkel haben gerne dort gegessen, als sie jünger waren, und meine Eltern ebenfalls. Es ist ein »Restaurant für alle Fälle«, in dem einem jeder noch so ausgefallene Wunsch erfüllt wird – und sei es der Wunsch nach salzfreier Kost.
Besonders berühmt ist es für seinen Erdbeerkuchen aus Mürbteig (neben meiner Großmutter der zweitwichtigste Grund, weshalb meine Wahl ausgerechnet auf das Bookbinders fiel).
Wir warfen uns alle ordentlich in Schale für diesen Abend; die Frauen trugen Kleider, die Männer Anzüge. Grandmom rief sogar Penelopes Mutter an, um sicherzustellen, dass Pen ein Kleid anzog. Sie sagte immer: »Wenn man ins Theater geht, muss man sich fein machen, um den Leuten, die auf der Bühne stehen und ihre Arbeit tun, gebührend Respekt zu zollen.« An diesen Grundsatz halte ich mich noch heute, und es ärgert mich, dass sich niemand außer mir die Mühe macht. Ich finde das schade. In New York bin (oder besser gesagt war) ich immer die Einzige herausgeputzte Besucherin.
Wir gingen also zu Bookbinders, und ich aß Schnapperfischsuppe, eine Spezialität des Hauses. Pen nahm die gebackenen Garnelen, und wir teilten uns eine Portion Pommes (ungesalzene, damit Grandmom ein paar stibitzen konnte). Ich weiß nicht mehr, was meine Großeltern und Onkel Morris aßen, aber ich bin sicher, es enthielt kein Quäntchen Salz.
In unserer Familie redeten immer alle zugleich, was mir jedoch noch nie aufgefallen war, bis Pen es an diesem Abend erwähnte. Es stimmte – es war, als würden die Worte wie eine Wolke in der Luft schweben, damit jeder, der Lust hatte, einen Kommentar dazu abgeben konnte. Besagter Abend bildete diesbezüglich keine Ausnahme.
»Klingt wie eine Art Geheimsprache«, meinte Pen damals.
Wieso konnte sie der Unterhaltung nicht folgen? Mom und Grandmom tauschten den neuesten Tratsch und Klatsch aus, und Daddy warf gelegentlich ein »Ausgeschlossen, Evelyn, Mort Gainsburgh betrügt seine Sylvia nicht« ein. Daddy und Grandpop redeten über die Phillies, und Onkel Morris mischte sich ein: »Quatsch, Harry, mit Mike Schmidt sind die Phillies gegenüber Detroit eindeutig im Vorteil.« Onkel Morris plauderte mit den Leuten hinter der Bar über ihren Vorrat an Spirituosen, und meine Mutter erkundigte sich: »Ist das derselbe Wodka, den du mir vorige Woche zum Kosten gegeben hast? Der schmeckte hervorragend.« Zudem befanden sich – wie immer, wenn wir alle gemeinsam unterwegs waren -, jede Menge Leute im Restaurant, die es zu begrüßen galt. Ständig trat jemand an unseren Tisch, um kurz hallo zu sagen.
»Sieh da, Carol und Richard!«, rief Grandmom, als das besagte Ehepaar angelaufen kam, um den neusten Tratsch und Klatsch zu besprechen.
Dann gesellten sich Ruth und Lou Goldman zu uns mit den Worten: »Evie und Harry Firestein, wie könnte es anders sein an einem Samstagabend!«
Danach tauchte ein
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