Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)
nicht mehr die Möglichkeit, diese Frage zu stellen. Sie haben von der betreffenden Person keine Adresse oder Telefonnummer, können sie weder per Telefon noch per E-mail, weder per SMS noch brieflich erreichen, ja noch nicht einmal googeln, um herauszufinden, was mit ihr geschehen ist. Denken Sie mal darüber nach. Stellen Sie sich vor, jemand, den Sie aus ganzem Herzen lieben, wäre plötzlich vom Erdboden verschwunden oder gestorben wie ich.
Können Sie sich vorstellen, wie sehr meine Eltern wohl darauf brennen, zu erfahren, wie es mir geht?
Können Sie sich vorstellen, wie wichtig es für mich ist, die vier kurzen Worte »es geht mir gut« auszusprechen, um sie zu beruhigen?
Da fällt mir eine Begebenheit aus meiner Kindheit ein. Der Schulbus hielt immer direkt vor unserem Haus, und während ich eines schönen Tages auf ihn wartete, rief meine Mutter von drinnen: »Gib mir Bescheid, wenn er kommt«.
Als sich der Bus näherte, rief ich: »Mom, der Bus ist da«, doch sie hörte mich nicht. Ich rief sie noch mindestens drei weitere Male, dann sagte der Fahrer: »Komm schon, Alex, steig ein, wir verspäten uns.«
»Aber ich habe meiner Mom versprochen, ihr Bescheid zu geben, wenn der Bus da ist«, sagte ich.
»Hör zu«, erwiderte er nachdrücklich. »Ich kann nichts dafür, wenn deine Mutter dich nicht hört. Wir müssen los.«
Mir blieb nichts anderes übrig, als in den Bus zu steigen. Ich machte mir schreckliche Vorwürfe. Die ganze Fahrt lang malte ich mir aus, was meine Mutter wohl durchmachen würde, wenn sie feststellte, dass ich spurlos verschwunden war. Sie würde bestimmt denken, ich sei entführt worden. Ich, das biologische Wunder. Ich stellte mir vor, wie sie auf der Suche nach mir durch die benachbarten Straßen rannte und schrie: »Alex ist weg!«, und wie ein Dutzend Polizeiautos vor unserem Haus vorfuhren. Als wir in der Schule ankamen, war ich ein nervliches Wrack.
Ich rannte geradewegs zu meiner Lehrerin und erzählte ihr nach Atem ringend die ganze Geschichte. »… und deshalb muss ich sofort meine Mutter anrufen, sonst glaubt sie womöglich, dass ich entführt wurde!«
»Unsinn«, beruhigte mich Mrs. Weinstein. »Deine Mutter kann sich doch denken, dass inzwischen der Schulbus da war. So, und jetzt setz dich hin, der Unterricht fängt an.«
»Nein!«, kreischte ich. »MEINE MUTTER WEISS NICHT, WO ICH BIN!«
Damit stürmte ich hinaus zum Münztelefon in der Eingangshalle und rief meine Mom an.
»Schon gut, Schätzchen«, tönte es gleich darauf beruhigend aus der Leitung. »Ich habe mir schon gedacht, dass der Bus gekommen war. Trotzdem danke, dass du mich angerufen hast. Das ist sehr lieb von dir.«
Als ich in die Klasse zurückkam, stand Mrs. Weinstein bereits an der Tafel. Ich schlich mich auf meinen Platz und setzte mich. Ich wurde weder bestraft noch gerügt, weil ich einfach aus der Klasse gelaufen war, aber selbst wenn, dann hätte ich das jederzeit gern in Kauf genommen. Nun, da ich wusste, dass sich meine Mom keine Sorgen um mich machte, machte ich mir auch keine Sorgen mehr.
Allmählich werde ich doch schläfrig.
»Mom«, murmle ich noch. »Bitte, sei unbesorgt, Mommy. Mir geht es gut. Mach dir keine Sorgen. Es geht mir gut.«
SIEBEN
Manchmal frage ich mich, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich nicht mit meinen letzten achthundert Dollar meinen Hund Peaches gekauft hätte. Ich weiß, man könnte einwenden, dass ich nicht hier im Himmel wäre, wenn es sie nicht gäbe, aber darum geht es nicht.
Die Sache ist die: Als ich nach Los Angeles zog (und bevor ich Peaches erwarb), ging es mir zunächst eine Weile ziemlich dreckig. Irgendwie lief es von Anfang an nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Insgeheim war ich nämlich felsenfest überzeugt gewesen, am Flughafen würde ein Empfangskomitee auf mich warten – Harold Hill mit einem riesigen Schild mit der Aufschrift »L. A. heißt seine neueste Einwohnerin aufs Herzlichste willkommen«, gefolgt von einer Blasmusikkapelle mit sechsundsiebzig Posaunen oder so.
Andererseits wusste ich natürlich, dass ich mir falsche Hoffnungen machte. Niemand würde mich erwarten, aus dem einfachen Grund, weil ich in L. A. außer Dana Stanbury keine Menschenseele kannte. Diese Tatsache bereitete übrigens sowohl Mom als auch Penelope große Sorgen.
»Hier ist die Nummer des L. A. P. D., nur für alle Fälle«, sagte meine Mutter und schob mir einen Zettel in die Tasche.
»Ich kenne da jemanden, der jemanden kennt,
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