Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
Jeshua ans Kreuz gebracht hat, das er direkt in die Hölle kam. Und seit fast zweitausend Jahren befindet er sich nun an einem Ort der von niemandem betreten werden kann. Zumindest von niemandem, der schon einmal im Himmel gewesen ist.“
Gabriel verstummte, doch niemand wagte jetzt ein Wort zu sagen. Währenddessen hatte Gabriel Eleanor die ganze Zeit über nicht einen Augenblick lang aus den Augen gelassen.
Eleanor schluckte. „Warum kann niemand dorthin, der schon einmal im Himmel gewesen ist?“, fragte sie tonlos.
„Weil es der Ort ist, der am weitesten vom Himmel entfernt ist und wer ihn einmal betreten hat, der riskiert, dass er ihn selbst nicht wieder verlassen kann. Du hast es doch erlebt – wann immer du einen Kreis der Hölle betreten hast, färbte ein wenig der Sünde jenes Kreises auf dich und deine Begleiter ab. Hochmut, Gleichgültigkeit, Habsucht, Lüge, Zwietracht, Grausamkeit und Hass waren eure ständigen Begleiter. Einige deiner Begleiter sind ihnen nicht entkommen und haben dafür bezahlt. Auch im innersten Kreis wird es so sein.“
„Wofür steht der innerste Kreis?“, fragte Eleanor ängstlich, obwohl sie die Antwort längst kannte.
„Selbsthass“, erwiderte Gabriel ernst. „Jede Sünde, die du hier kennengelernt hast, kann durch Reue und die Bitte um Vergebung aufgehoben werden. Wer aber so schwer gesündigt zu haben glaubt, dass er sich selbst zu hassen beginnt, der wird die Schwelle zur Reue nicht überschreiten können. Wer sich selbst nicht akzeptiert, der kann auch niemand anderen lieben. Und erst dann ist man wirklich verloren.“
Eleanor nickte wortlos. Würde auch sie sich im Zentrum der Hölle so zu hassen beginnen, dass sie den Ausweg aus diesem Kreis nicht mehr finden würde? Sie sah sich um und mit einem Mal kam ihr die Hölle des dritten Kreises fast harmlos und tröstlich vor. Wie mochte es dort sein? An jenem Ort an dem Juda Iskariot gefangen war und sich selbst seit zweitausend Jahren marterte?
„Warum ich?“, wimmerte sie.
Schlagartig änderte sich Gabriels Gesichtsausdruck. Ganz plötzlich wurde er weich und fast mitleidig. Er legte seine Hand auf Eleanors Wange und eine Welle reinen Wohlgefühls flutete durch ihren Körper.
„Weil in all den Jahrtausenden niemand vollbracht hat, was dir gelungen ist“, sagte er leise und eindringlich. „Du hast so viele von uns aus der Hölle befreit. Du hast so vielen gezeigt, welchen Weg sie nehmen müssen. Wenn diese Tat jemandem gelingen kann, dann allein dir! Wie immer du das geschafft hast – jetzt musst du es ein letztes Mal tun. Diese Tat kann von niemandem ausgehen, der schon einmal im Himmel war und ebenso wenig kann sie von jemandem ausgehen, der zu Recht der Hölle angehört. So bleibt nur jemand, der ebenso wie du zwischen beidem steht. Jemand, der unsere Welt kennt, aber dennoch nicht Teil von ihr ist. Das ist dein Schicksal!“
Eleanor zuckte zusammen als sie das Wort Schicksal hörte. Sie musste daran denken, wie oft in der Geschichte der Menschheit der Gedanke an ein angebliches Schicksal missbraucht worden war, um den Zielen einzelner zu dienen. Sie misstraute Gabriel, das wurde ihr schlagartig bewusst. Was, wenn er ihr nicht die volle Wahrheit sagte?
„Was ist, wenn ich mich weigere?“, fragte sie mit brüchiger Stimme.
Gabriel gab ein schnaufendes Geräusch von sich und zog den Kopf zurück. Er richtete sich auf und blickte auf sie herab.
„Du wirst es tun – so oder so“, sagte er. „Aber ich kann dir einen Anreiz geben es zu tun. Siehst du all die Menschen?“
Er zeigte auf die Mitglieder der Kirche der Verlorenen, die noch immer in einem weiten Kreis um sie herum standen und die Szene stumm verfolgt hatten. Eleanor nickte.
„Diesen Menschen war die Hölle zugedacht, weil sie im Leben gesündigt haben. Jeder hat auf seine Weise die Gebote der Menschlichkeit verletzt und verhöhnt. Und doch ist ihre Reue gesehen worden. Zuletzt haben sie sich zusammen mit Raphael und Lilith auf die Akoloythoi gestürzt – allein um dir zu helfen. Ihre Schuld ist beglichen und ich entlasse sie in den Himmel!“
Raphael blickte nach oben auf das Loch in der Wolkendecke, aus dem noch immer das goldene Licht des göttlichen Feuers erstrahlte. Ein schimmernder Lichtkegel fiel von dort hinab auf den Boden der Hölle und streifte den ersten der Menschen. Der Mann gab ein leises Geräusch des Erstaunens von sich. Dann plötzlich entspannten sich seine Gesichtszüge, er schloss lächelnd die Augen und ganz
Weitere Kostenlose Bücher