Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
langsam begann seine Gestalt zu verblassen, bis allein das kleine Licht seiner Seele übrig war. Und während der Lichtstrahl sich verbreiterte und zum nächsten Menschen weiterzog, entschwebte das Seelenlicht des Mannes zum Himmel, wo es im göttlichen Feuer verschwand.
Nach und nach lösten sich nun die Mitglieder der Kirche der Verlorenen von der Hölle und schwebten als kleine Lichter ihrer Erlösung entgegen. Und jedes Mal, wenn wieder einer der Menschen sich im Lichtstrahl des göttlichen Feuers zu seinem Seelenlicht verwandelte, schien eine Erschütterung durch die Hölle zu fahren. Nicht wie ein Erbeben, sondern eher, als sei die gesamte Hölle nicht mehr als eine unwirkliche Projektion auf einem unsichtbaren Tuch, durch das ein aufs andere Mal ein Zittern lief.
Als einer der letzten stand nur Oliver noch da. Und während der Lichtstrahl auf ihn zuwanderte, ihn erfasste und seine Gestalt zu verblassen begann, lächelte er Eleanor ein letztes Mal an. Er schien noch etwas sagen zu wollen, doch seine Worte erreichten sie nicht mehr. Dann war er fort und kurz darauf war auch der Funke seiner Seele im Licht verschwunden.
Erst jetzt bemerkte Eleanor, dass sie hemmungslos weinte. Der Anblick all dieser Menschen, die ihrem verdienten Frieden entgegengegangen waren , war etwas, was sie ihr ganzes Leben nicht mehr vergessen würde.
Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und drückte sie sanft. Sie wandte sich um und sah William neben sich stehen. Warum war er noch hier? Warum war er nicht mit den anderen gegangen?
„William!“, schluchzte Eleanor. „Du solltest gehen. Jetzt… Bleib nicht hier…“
William Foltridge sah sie nicht an. Noch immer starrte er auf die Stelle, an der eben noch Oliver gestanden hatte. Sein Gesicht war von Qual und Schmerz gezeichnet. Er wirkte wie ein Verhungernder, der das rettende Essen vor sich hat und dennoch nichts davon nehmen kann. Eine einzelne Träne rollte über seine Wange.
„Ich bin euch so weit gefolgt, Milady“, krächzte er mit rauer Stimme. „Auch diesen letzten Weg werde ich jetzt mit euch gehen…“
„Aber William…“
„Nein! Ich verdanke euch so viel, Milady. Ich müsste mich ja schämen, wenn ich euch jetzt allein ließe.“
William zitterte am ganzen Leib, doch er wich nicht von der Stelle. Sein Mund wurde zu einer schmalen Linie und beinahe trotzig blickte er am goldenen Licht des himmlischen Feuers vorbei. Der Kampf, den er in diesem Augenblick in seinem Innern mit sich selbst austrug, musste ungeheuerlich sein. Erst jetzt erkannte Eleanor, wie stark William sein musste, um im Angesicht der Erlösung nicht zu versagen. Sie nahm seine Hand und drückte sie sanft.
„Danke“, flüsterte sie. Erst jetzt gelang es ihm, sie anzusehen. Beinahe erstaunt blickte er sie an.
„Warum sollte ich noch tiefer in die Hölle?“, wandte Eleanor sich eigensinnig an Gabriel. „Warum sollte ich meine Begleiter diesem Risiko aussetzen? Ich habe doch jetzt, was ich will!“
Ihr Blick huschte zu Raphael hinüber, der Gabriel mit einem Ausdruck anstarrte, der erschreckend an Abscheu erinnerte.
Gabriel lachte. „Aber Eleanor“, erwiderte er amüsiert. „Hast du all die Seelen nicht gesehen, die eben erlöst worden sind? Hast du den Ausdruck in ihren Gesichtern nicht bemerkt? Bedenke, dass es tief im Innern der Hölle noch jemanden gibt, dem du die Erlösung bringen kannst. Du bist nicht der Mensch, der diese Verantwortung von sich weisen wird! Und nicht zuletzt solltest du an William denken. Ich verspreche dir, dass auch er frei sein wird, wenn du diesen letzten Weg gehst…“
Eleanor sah Gabriel verbittert an. In diesem Augenblick hätte sie ihn am liebsten geschlagen. Doch diese Vorstellung hatte etwas Lächerliches an sich und Gabriel schien zu wissen, was in ihr vorging, denn er lächelte sie beinahe mitleidig an.
„Wie komme ich an den Ort, an den du mich schicken willst?“, fragte Eleanor tonlos. Raphael gab ein schnaufendes Geräusch von sich, das seinen Widerwillen nur allzu deutlich verriet.
„Hab keine Angst, Eleanor Menschenkind“, erwiderte Gabriel freundlich. „Und auch du, Raphael, sorge dich nicht. Die Reise ins Zentrum der Hölle wird nicht so beschwerlich sein wie der Weg, der bereits hinter dir liegt. Du hast genug Helfer an deiner Seite, nicht nur William. Auch Raphael wird mit uns kommen und wer immer sich uns noch anschließen will.“
Sein Blick wanderte kurz zu Lilith hinüber. Dann zog er weiter und blieb auf Michael und
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