Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
können.
Vor der Tür angekommen sahen Lilith und Raphael sich kurz an. Wie auf ein schweigendes Kommando hin hatte Lilith jetzt die Führung übernommen. Von einem Augenblick auf den anderen schien sie wie ausgewechselt und Raphael fragte sich nicht zu ersten Mal, wie er sie jemals hatte fürchten können. Lilith wirkte stark und unbeugsam und doch konnte es keinen Zweifel daran geben, dass sie auf der richtigen Seite stand. Auf der Seite der Menschen, der schwachen Sünder. Sie lächelte ihn an und es wirkte verheißungsvoll und zugleich unendlich anziehend. Dann plötzlich trat sie mit einer schnellen Bewegung die Eingangstür ein, das wilde Flackern des brennenden Friedhofs umfing sie und ein Geschrei aus tausenden von Kehlen ließ die Luft um sie herum vibrieren.
Die beiden Engel fuhren wie riesige Sicheln in das Kornfeld der Akoloythoi. Sie hieben und schlugen um sich, rissen Körperteile auseinander und jagten die Fliehenden in Sekunden auseinander. Keiner der Dämonen hatte mit der Anwesenheit zweier Engel gerechnet und es gab nichts, was sie den beiden entgegensetzen konnten. Nicht einmal Flucht war eine ernstzunehmende Option, denn wie schon im Hause Nargals waren es viel zu viele, als das sie sich nicht gegenseitig bei der Flucht behindert hätten. Ihr Gekreische und Heulen hallte über die Stadt, jagte durch sämtliche Gassen und Straßen, drang in die Häuser und bis tief in die verfluchte Erde der Hölle hinein.
Wie lange Lilith und Raphael gegen die Akoloythoi kämpften hätten sie später nicht mehr sagen können. Vor allem Lilith steigerte sich mehr und mehr in einen Rausch hinein und immer wieder wanderten Raphaels Blicke bewundernd zu ihr hinüber. Ihr kleiner leuchtender Körper fegte durch die Menge grauer Leiber, für die es kein Entrinnen gab. Ein unglaublicher und atemberaubender Anblick. Nie zuvor hatte Raphael etwas Derartiges gesehen und er ertappte sich bei dem Gedanken, dass Lilith in diesem Augenblick etwas zutiefst Aufregendes anhaftete.
Und dann war plötzlich alles vorbei. Das Heer der Akoloythoi war verschwunden, nur wenige Versprengte flüchteten sich in einiger Entfernung in die Seitengassen am Friedhof. Der überwiegende Teil des Heeres lag vernichtet auf den Wegen des Friedhofs, wo die allgegenwärtigen Flammen bereits an den unzähligen grauen Leibern zu lecken begannen. Mehr und mehr der Körper fingen nun Feuer und wurden durch die Hölle verschlungen, die sie geboren und genährt hatte.
Erst jetzt sahen Lilith und Raphael, dass sie nicht allein waren. Irgendwann während ihres Kampfes mussten die Menschen aus dem Krematorium gekommen sein um zu helfen. Sie hatten die letzten Krüge mit schwarzem Wasser mitgebracht und gegen die Akoloythoi eingesetzt und nun standen sie seltsam erschöpft und doch zugleich stolz zwischen den brennenden Leibern der Dämonen und sahen sich fassungslos um. Die ersten lachten erleichtert auf. Dann begannen sie zu jubeln und die leeren Krüge zu Boden zu schmettern.
Raphael blickte sich suchend nach Eleanor um und schließlich entdeckte er sie. Michael und Elizabeth standen an ihrer Seite und gaben nun die Deckung auf, die sie ihr bis zuletzt verschafft hatten.
Wie von selbst begannen die beiden sich aufeinander zu zubewegen, doch es trennten sie noch immer einige Meter, als plötzlich etwas geschah. Michael sah es zuerst, doch zunächst glaubte er seinen Augen nicht trauen zu können. Die brennenden Wolken über ihnen, die eben noch mit rasender Geschwindigkeit über das Firmament gezogen waren, verlangsamten urplötzlich ihr Tempo, dann blieben sie gänzlich stehen und erstarrten am Himmel. Jetzt nahmen es auch die anderen wahr und von einem Augenblick auf den anderen starrten alle, Engel und Menschen gleichermaßen, zum Himmel.
Dort bildete sich in den erstarrten Wolken unmittelbar über ihren Köpfen ein Wirbel. Wie in einem Strudel begannen die brennenden Wolken um eine unsichtbare Achse zu rasen, dann brach die Wolkendecke an jener Stelle auf und ein Lichtfinger des göttlichen Feuers fiel zu ihren Füßen auf den Boden der Hölle.
Sie alle hielten den Atem an und keiner wagte etwas zu sagen. Und dann sahen sie es – aus dem wunderschönen Lichtkegel senkte sich eine Gestalt hinab auf den Boden und es konnte keinen Zweifel daran geben, dass es ein Engel war. Die Füße des Engels berührten den Boden des Friedhofs und urplötzlich erstarben die zahllosen Flämmchen der Hölle im Umkreis mehrerer Meter.
„So, das ist also die
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