Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
wenige Dutzend Meter entfernt zu. Dort bückte er sich und hob einen seltsamen Gegenstand auf. Einen Augenblick lang standen alle unschlüssig herum, dann folgten ihm die ersten. Kurz darauf standen sie alle um ihn herum und starrten auf jenes Objekt, das er beinahe ehrfürchtig in die Höhe hielt.
Es war eine Krone. Ein schweres goldenes Ungetüm, mit Juwelen und Halbedelsteinen verziert. Sie sah alt und massiv aus, so als sei sie unmittelbar der Schatzkammer eines längst verstorbenen Königs oder Kaisers entnommen worden.
„Lag das hier rum?“, fragte Toby überflüssigerweise.
Der Mann, der die Krone hielt nickte, ohne das Stück aus den Augen zu lassen. Sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Faszination, Ungläubigkeit und blanker Gier. Einige der Anwesenden gaben Laute der Verwunderung von sich, ein paar Hände streckten sich nach der Krone aus, so als wollten sie sie berühren, doch niemand tat es.
„Leg das wieder hin!“, peitschte die Stimme Williams über ihre Köpfe hinweg.
Die Hände des Mannes sanken ein Stück hinab doch er ließ die Krone nicht fallen. Stattdessen sah er sich langsam nach William um und blickte ihn einen Augenblick lang wortlos an.
„Warum? Willst du sie etwa für dich?“, fragte er leise.
„Um nichts in der Welt würde ich dieses Ding auch nur anfassen“, zischte William. „Wir sind im siebten Kreis. Dem Ort der Gier. Was meinst du, warum das Teil hier liegt?“
Wie in Zeitlupe ging der Blick des Mannes zurück zu der Krone in seinen Händen.
„Ich weiß es nicht… aber ich habe sie gefunden…“, stammelte er.
In diesem Augenblick schob Eleanor sich nach vorn zu ihm durch.
„Wie heißt du?“, fragte sie.
„James… mein Name ist James“, murmelte er, während er mühsam den Blick auf sie richtete.
„Was willst du mit dieser Krone?“, fragte Eleanor. „Sie macht dich nicht zu einem König. Und sie ist auch nichts wert an diesem Ort. Es gibt hier nichts, was du dafür tauschen oder kaufen könntest.“
Zweifel schlichen sich in James‘ Blick. Seine Hände begannen zu zittern, doch er vermochte die Krone nicht fallen zu lassen.
„Leg sie weg“, sprach Eleanor behutsam auf ihn ein. „Wenn du jemals diesen Ort verlassen willst, dann nur ohne die Krone.“
„Aber dann nimmt sie ein anderer…“, flüsterte James unter Tränen. Es war offensichtlich, dass er kaum noch Herr über seine Sinne war.
„Soll ein anderer sie doch nehmen! Auch der wird mit ihr niemals aus der Hölle kommen. Sie ist unwichtig, vor allem aber ist sie hier nichts wert!“
Zögernd begann James zu nicken, während er noch immer die Krone in seinen Händen festhielt. Fast schien es, als würde er nachgeben. Doch dann, von einem Augenblick auf den anderen, wurde sein Gesichtsausdruck hart und unnachgiebig.
„Nein!“, schrie er. „Du wirst sie nicht bekommen. Sie steht nur mir zu!“
Und mit diesen Worten durchbrach er den Kreis der Menschen um ihn herum und lief davon. Fassungslos und ungläubig blickten sie ihm hinterher, doch niemand machte Anstalten ihn aufzuhalten. Wie ein Hase rannte er über die helle Geröllebene, bis er schließlich hinter einigen riesigen Findlingen verschwunden war. Eine Weile hörten sie noch das Echo seiner hastigen Schritte und das Geräusch der sich unter seinem Schritt lösenden Steinchen, dann erstarb auch das und James war verschwunden.
„So wird es jedem ergehen, der hier seine Finger nicht bei sich behalten kann!“, raunte William, doch jeder hatte seine Worte verstanden. „Den sehen wir nicht wieder. Und wenn er je eine Chance gehabt hat, die Hölle zu verlassen, dann ist sie jetzt dahin.“
Noch immer starrten sie alle in die Richtung, in der sie James das letzte Mal gesehen hatte. Einige nickten stumm, andere konnten nur schwer die in ihnen aufsteigenden Tränen unterdrücken.
Eleanor brauchte all ihre Kraft um sich einen Ruck zu geben. „Weiter!“, sagte sie, während sie sich schwerfällig wieder in Bewegung setzte. In diesem Moment fühlte sie sich, als lasse sie mit James zugleich einen Teil ihrer selbst an diesem Ort zurück, einen Arm oder ein Bein vielleicht. Es fühlte sich nicht richtig an, doch ihr war bewusst, dass James sich entschieden hatte und sie nicht die Macht besaß, ihn zu sich zurückzuholen.
So trottete sie in trüben Gedanken voran und nahm kaum wahr, dass auch ihre kleine Gruppe sich hinter ihr wieder in Bewegung gesetzt hatte und ihr bedrückt folgte.
„Die Hölle nimmt sich das ihre und gibt es
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