Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
nicht wieder zurück“, hörte sie nach einer Weile Williams Stimme neben sich. Sie klang rau und bitter. „Macht euch keine Vorwürfe deswegen, Milady. Wir werden noch mehr Menschen verlieren, je tiefer wir in die Hölle vordringen. Es mag gut sein, dass keiner von uns bis zu jenem Ort gelangt, an den es euch zieht.“
Sie marschierten mit gedrückter Stimmung weiter. Keiner von ihnen sagte ein Wort und selbst jene, die nach ihrer Befreiung aus dem Feuersee auf dem Weg zum schwarzen Grenzfluss leise miteinander gesprochen und voll Zuversicht auf den kommenden Weg und ein besseres Geschick geblickt hatten, wirkten nun niedergeschlagen und verunsichert. Wie leicht war es der Hölle gefallen, James wieder an sich zu reißen. Und wie schnell konnte einer der ihren der nächste sein.
Darüber hinaus begann ihnen der unheimliche Himmel über ihren Köpfen mehr und mehr aufs Gemüt zu schlagen. Das grausame Sonnenauge starrte ununterbrochen, leblos und doch zugleich gierig und mitleidlos auf sie herab. Ein jeder von ihnen fühlte sich, als ginge dieser Blick unter Haut und Knochen bis ins Innerste ihrer Seele.
Eleanor hätte nicht sagen können, wie lange sie schon unterwegs waren, als plötzlich Geräusche aus einiger Entfernung die Stille ihrer kleinen Gruppe durchbrachen. Sie hielten an und lauschten, doch keiner von ihnen konnte sich die Laute erklären, die einerseits wie glückseliges Jubeln und andererseits wie schrille Schmerzensschreie klangen. Ein eiskalter Schauer lief einem jeden von ihnen über den Rücken, während ihre Vorstellungskraft sich mühte, Bilder zu diesen Klängen zu formen.
Da war es wieder – der Schrei einer zu Tode gequälten Kreatur, unmittelbar gefolgt vom Triumphgeschrei derselben Stimme. Eleanor sah sich zu ihren Begleitern um. Selbst William an ihrer Seite war kreidebleich, Allys hingegen stand mit weit aufgerissenen Augen stocksteif da und schien völlig erstarrt.
„Was mag das sein?“, hauchte Robert tonlos. „Welche Teufelei ist dort vorn auf unserem Weg im Gange?“
Wortlos schüttelte Eleanor den Kopf, ohne auch nur einen Moment lang den Blick von der Richtung abzuwenden, aus der sie alle die grausigen Geräusche vernahmen. Unter größten Mühen setzte sie sich langsam in Bewegung und ging weiter. Sie nahm nicht einmal wahr, dass die anderen ihr folgten, so sehr musste sie sich zwingen weiterzugehen und die Angst in ihrem Innern nicht überhand nehmen zu lassen.
Und dann sah sie es. Dort am Wegesrand zu ihrer Rechten, im Schatten einiger Felsen, hatte sich eine Gruppe von vielleicht zehn Menschen versammelt. Vor ihnen sprudelte aus einem Quellloch in der Felswand eine helle Flüssigkeit, die offenbar brennend heiß sein musste, denn sie dampfte und qualmte, ließ die Luft in ihrem Umfeld erzittern und flimmern. Immer wieder rannten die Fremden zu dieser Quelle und schöpften das Nass mit bloßen Händen ab, bevor es wie von Zauberhand im Boden versickern konnte. So glühend heiß musste die Flüssigkeit sein, dass die Menschen bei bloßer Berührung damit unter Qualen aufschrien, während ihre Hände bis auf die Knochen verbrannten. Und dennoch mühten sie sich trotz aller Schmerzen jedes Mal aufs Neue zumindest ein paar Tropfen davon hinüber auf den harten Fels zu bringen, wo sie nicht versickern konnten. Dort kühlten sie binnen weniger Augenblicke ab und formten goldene Perlen, die im hellen Licht dieser Höllenwelt kalt funkelten und gleißten. Und wann immer es einem der Menschen gelang einen einzelnen Tropfen davon zu retten, so schrie er vor Freude auf, während seine Hände binnen weniger Augenblicke wieder geheilt waren, so dass er aufs Neue zur Quelle laufen konnte. Ein ansehnlicher Haufen der kleinen goldenen Perlen hatte sich bereits zusammengefunden. Mit wie vielen Schmerzen mochte dieser Schatz erkauft worden sein…?
„Sie schöpfen flüssiges Gold mit bloßen Händen?“, murmelte Toby. „Mein Gott…“
„Können wir etwas für sie tun?“, fragte Eleanor leise und ohne William dabei anzusehen. Doch dieser schüttelte kaum sichtbar den Kopf.
„Hier sind keine Dämonen am Werk, keine Akoloythoi“, sagte er. „Allein ihre Gier hält sie hier. Und gegen die wird keiner von uns etwas tun können…“
Eleanor verzog bitter den Mund. „Ich verstehe“, presste sie hervor. Eine Weile stand sie noch ratlos da und sah dem widerlichen Treiben am Wegesrand zu. Dann riss sie sich davon los und zwang sich, weiterzugehen. Die Freuden- und
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