Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
gequält oder getötet hast – sie alle wären sich vollkommen sicher, dass du direkt dem Herzen der Hölle entsprungen sein musst und mit Sicherheit hier einen Toten Palast hast!“
„So seht ihr mich…“, erwiderte Lilith bitter.
„Ich nicht… nicht mehr!“
Verunsichert blickte Lilith zu ihm hinüber, doch er sah sie nicht an. Sein Blick glitt noch immer unablässig über die finstere Landschaft unter ihnen.
„Wie willst du sie finden?“, fragte sie daher.
Eine Weile antwortete Raphael nicht. Dann klang seine Stimme plötzlich ungewohnt rau zu ihr hinüber.
„Ich sehe die Seelenlichter der Menschen. Ich kenne Eleanors Seelenlicht und ich werde es finden, wenn es hier sein sollte.“
Lilith nickte. Sie hatte sich mittlerweile damit abgefunden, dass er über bestimmte Fähigkeiten verfügte, die sie trotz all ihrer Macht nicht hatte und nie haben würde. Ein merkwürdiges Gefühl, zu jemandem aufblicken zu können…
„Runter mit dir, versteck dich!“, zischte er plötzlich.
Der Befehl kam so unerwartet und erschien Lilith so abstrus, dass sie ihn erstaunt ansah. Hatte er eben gesagt, sie solle sich verstecken? Es gab nichts, womit sie nicht fertig werden würde. Warum sollte sie sich also verstecken?
„Jetzt ist keine Zeit für Erklärungen!“, fauchte Raphael leise. „Sieh zu, dass du außer Sichtweite kommst!“
In diesem Moment hörte Lilith das Rauschen riesiger Flügel hinter sich und es war zweifellos mehr als ein Paar. Noch einmal sah sie verwirrt zu Raphael, doch dieser sah sie so drängend an, dass sie ihm nachgab und im Sturzflug auf die Erde zuraste. Wenige Augenblicke später war sie im Nebel verschwunden und Raphael hielt mit einem lauten Knall mitten in der Luft an und wartete.
Die Zeit verging elend langsam, während Lilith in der felsigen Erdspalte hockte und sich kaum vorzustellen vermochte, was in diesem Augenblick über ihrem Kopf geschah. Wenn Raphael dort oben in Schwierigkeiten geriet, wollte sie an seiner Seite sein und sich nicht hier im Dunkel verbergen. Von einem Kampf jedoch war nichts zu hören. Was immer der Grund für seine plötzliche Vorsicht war, musste bis zu seiner Klärung warten.
Dann endlich, nach quälenden Minuten, hörte sie das Rauschen jener Flügel, die sie aus tausend anderen heraus erkannt hätte und kurz darauf setzte Raphael neben ihr auf den Felsen auf. Sie verließ ihre Deckung und sah ihn fragend an.
„Engel“, begann Raphael kurz angebunden.
Eine kleine Zornesfalte erschien auf ihrer Stirn. „Dafür hast du mich nach unten gejagt?“, grollte sie, doch Raphael schnitt ihr mit einer Geste das Wort ab.
„Was denkst du, was geschehen wäre, wenn sie dich hier entdeckt hätten?“, wandte er trocken ein. „Sie hätten sofort erkannt, dass du nur an diesen Ort kommst, um etwas zu suchen. Wir wären sie nicht mehr losgeworden. In Verbindung mit mir wären sie schnell auf Eleanor gekommen und damit wäre das letzte bisschen Tarnung für sie ein für allemal aufgeflogen.“
Lilith hielt inne, dann nickte sie widerstrebend.
„Und jetzt?“, fragte sie. „Was wollten die?“
Einen Augenblick lang sagte Raphael nichts, dann seufzte er tief.
„So wie es aussieht, war dein Rückzug umsonst. Ich würde sagen, Eleanors Tarnung ist bereits dahin.“
Lilith runzelte die Stirn, doch sie wartete geduldig auf Raphaels Erklärung.
„Sie sind auf dem Weg zu einem Konzil“, schloss er leise. „Sie wussten bislang nur, dass es um einen Menschen geht, der hier in der Hölle Probleme macht. Ein Mädchen, dessen Namen niemand kennt. Noch nicht…“
Der Talkessel wirkte wie eine gigantische Arena, in der abertausende von Engeln Platz fanden. Er war bereits zu gut drei Vierteln gefüllt und noch immer flogen aus allen Richtungen weitere Engel herbei. Die Luft war erfüllt vom Rauschen unzähliger Flügel und den Stimmen der gefallenen Boten Gottes. Unzählige rot glühende Leiber tauchten das umliegende Gestein in ein unheimliches Flimmern.
Mit äußerster Vorsicht zog sich Lilith in die schmale Felsspalte zurück, in der sie am Rande des Talkessels zusammen mit Raphael Schutz gesucht hatte. Hier würden sie alles hören können, was dort unten gesprochen wurde und doch würde niemand sie sehen können. Nach kurzer Beratung waren sie übereingekommen, dass sie sich besser nicht unter die anderen mischen sollten. Raphaels Anwesenheit würde zu viele Fragen aufwerfen, da bekannt war, dass er eine allzu enge Beziehung zu Eleanor hatte. Lilith
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