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Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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nicht haben dürfte. Die Grenzen der Hölle gelten nicht für sie und darüber hinaus können die bösen Mächte der Hölle ihr kein Leid zufügen. Wie kann das sein?“
    Noch immer sah Raphael sie hilflos und verwirrt an.
    „So wie ich es sehe, kann ihr das nicht aus eigener Kraft gelungen sein“, sprach Lilith weiter. „Sie muss fremde Hilfe gehabt haben. Jemand muss ihr die Pforten der Hölle geöffnet haben und dieser jemand sorgt auch dafür, dass ihr hier kein Leid geschieht. Und das bringt uns zur letzten Frage: warum geschieht das alles? Was hat Eleanor hier vor? Und was hat unser Unbekannter vor?“
    Eine Weile blickte Raphael sie wortlos an. Dann sagte er ganz unvermittelt: „Zum ersten Mal sehe ich, dass du ein Mensch bist, Lilith.“
    Lilith sah ihn irritiert an, so dass er hinzufügte: „Ihr Menschen wollt alles am richtigen Platz haben. Ihr versucht stets, euch das Universum zu erklären und wenn ihr auf ein Geheimnis stoßt, so könnt ihr nicht anders als es lösen zu wollen…“
    Ohne es zu wollen, hatte Raphael beinahe dieselben Worte benutzt, die Naral einmal zu Eleanor gesagt hatte. Ein Lächeln zog sich über Liliths Gesicht. Aus Raphaels Mund hatte es wie ein Kompliment geklungen und bis zu diesem Augenblick hatte er sie in ihrer Erinnerung noch nie mit ihrem Namen angesprochen.
    Einen Augenblick lang war es ganz still zwischen den beiden. Dann sprach Lilith und ihre Stimme klang rau und unbeholfen: „Und? Was wollen wir jetzt tun?“
    „Was schon“, erwiderte Raphael. Jetzt klang er beinahe verstört. „Wir müssen Eleanor vor den anderen finden. Wenn uns das nicht gelingt, ist sie dem Tode geweiht!“
    Lilith nickte ihm knapp zu, dann breitete sie ihre Flügel aus und erhob sich in den nebligen Himmel.

Der sechste Kreis – Die Lügenwelt
     
     
    Schon seit einiger Zeit hatten Eleanor und ihre kleine Gruppe das Rauschen gehört, jenes Rauschen, das einen der finsteren Grenzflüsse ankündigte. Dieses Mal jedoch klang es lauter, wilder, nicht wie die letzten Flüsse, die träge und bösartig lauernd in ihrem Flussbett geblieben waren. Was immer da vor ihnen lag, musste gewaltig, schnell und reißend sein.
    Eleanor blickte sich um und sah auf die Menschen in ihrem Gefolge. Toby und Kathryn gingen Hand in Hand, auch Robert und Allys hielten einander fest, während sie den Blick furchtsam auf das noch immer unsichtbare Hindernis auf ihrem Weg zu richten versuchten. Fast alle anderen hatten sich ebenfalls angefasst, wenngleich sie einander nicht kannten. Es war die Angst, die sie zusammenschweißte. Die Angst, die an diesem Ort so allgegenwärtig war. Einzig William hatte niemanden an seiner Seite, doch er hielt die Arme eng um sich geschlungen, so als wolle er sich an sich selbst festhalten.
    „Was mag da vorn sein?“, flüsterte er, ohne Eleanor anzusehen. Auch sein Blick war starr geradeaus gerichtet.
    „Ich weiß es nicht“, flüsterte sie. Auch ihr lief es nun eiskalt den Rücken hinunter, doch in dem Nebel, der während ihres gemeinsamen Weges im Laufe der letzten Meilen aufgezogen war, ließ sich nichts erkennen. Und dabei hatte sie diesen Nebel zunächst geradezu willkommen geheißen, denn er bedeutete, dass sie all das Grauen und die Versuchungen am Wegesrand nicht mehr sehen musste. Während ihres Marsches durch den siebenten Kreis der Hölle hatten sie allenthalben die Auswüchse von Gier und Besessenheit erleben müssen. So viele Reichtümer und Schätze hatten am Wegesrand gelegen, doch die Seelen, die hier gefangen waren, waren nicht zu befriedigen. Ihr Verlangen nach Gold und Edelsteinen war so unermesslich, dass sie Leid, Schmerzen und Qualen auf sich nahmen und dennoch nie zur Ruhe fanden. Mit Grausen dachte Eleanor an eine Gruppe von Menschen zurück, die in ihrem Wahn in den Eingeweiden toter, monströser Körper nach Goldmünzen gesucht hatten. Die Kadaver hatten wie die Überreste grober und ungeschlachter Riesen gewirkt und Eleanor erinnerte sich dunkel an eine Geschichte, die einer ihrer Geschichtslehrer einmal erzählt hatte. Während der Kreuzzüge war es demnach mehrfach geschehen, dass die besiegten Bürger einer Stadt vor der Kapitulation ihre letzten Goldmünzen in der Hoffnung verschluckt hatten, dass sie sie so würden retten können. Die Sieger hingegen, die dies geahnt haben mussten, töteten kurzerhand die verdächtigen Bürger und entrissen ihren Eingeweiden alles, was auch nur im Entferntesten nach Gold aussah. Nun, immerhin hatte Eleanor keine

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