Die Zehnte Gabe: Roman
baraka , ein gutes Omen.«
Gut und schön, aber was war ein Storch? Cat hatte keine Ahnung. Leila kreischte vor Lachen. »Später zeige ich es dir. Es gibt ein Nest auf dem Minarett.«
Ein Vogel also. Mit flammenden Wangen betrachtete Cat das Muster noch einmal. Ein Vogel mit einem langen Schnabel, vermutete sie, aber das war kein großer Trost.
Eine andere Frau hatte ein paar lange, mit einem dichten, komplexen Muster bestickte Stoffstreifen mitgebracht, die mit angelaufenen Silberfäden verziert waren. »Das ist nicht von hier«, sagte die Übersetzerin. »Es ist sehr alt und gehörte zur Morgengabe ihrer Urgroßmutter. Die alte Frau stammte ursprünglich aus der Türkei, sagt sie. Doch dieses andere Teil« - sie hielt ein schlichteres, einfarbiges Stück Tuch hoch - »ist ein zeremonieller Gurt für einen Mann und stammt aus dem Rif.«
»Das Muster gefällt mir sehr«, sagte Cat. »Es ist viel schöner als das aus der Türkei.« Tatsächlich war es ausdrucksstark und emblematisch, stark und überzeugend in der Ausführung. Es stammte eindeutig von jemandem, der lange Erfahrung mit solchen Materialien und Motiven hatte. Dann nahm sie das andere Stück Stoff noch einmal auf und untersuchte die Verarbeitung. Die Silberfäden waren nicht durch den Stoff gezogen, sondern lagen auf der Oberfläche auf und waren in winzigen Abständen mit einem kräftigen neutralen Faden befestigt. »Ah, es ist
verschnürt, das spart Garn und sorgt dafür, dass sich der Faden nicht versteift oder ausbeult.« Sie lächelte. »Obwohl ich noch nie mit Silber oder gar Gold gearbeitet habe.«
»Das kommt noch«, versprach Leila. »Sidi Qasem hat viele Pläne und mehr als genug Geld.«
Es gab Litzen und Einfassungen - mjadli ; Wandbehänge - hyati , und einen sau , einen hübsch verzierten Badeschleier, mit dem man sich beim Besuch im Hamam das Haar hochbinden konnte. Alles schlichte, attraktive Objekte, die einfarbig und mit rudimentären Fertigkeiten ausgeführt waren. Dann zog Habiba schüchtern ein Stück dunklen Samt aus ihrer Tasche, das anders war als alles, was sie bisher gesehen hatten. Die Frauen hielten vor Entzücken die Luft an.
»Das ist mein izar «, erklärte sie. »Besser gesagt, einer von zweien. Eine Hälfte der Brautvorhänge. Für meine Hochzeit.« Und sie errötete, als die Frauen ihn ehrfürchtig auseinanderfalteten und mit den Fingern über den weichen Samt strichen. Eine hielt ihn sich sogar an die Wange. Zu dritt mussten sie kichernd und schwankend auf einen der Diwane klettern, um ihn zu seiner vollen Länge zu entfalten, und dann war Cat diejenige, die den Atem anhielt.
Der Entwurf war weit größer als alle anderen Muster, die die Frauen mitgebracht hatten: Da musste jemand hohe Ansprüche gehabt haben. Aus einer Serie von dichten Friesen, in denen sich geometrische Muster mit stilisierten Bäumen und Pflanzen abwechselten, erhob sich ein Minarett, ein von einer Kuppel gekrönter Turm, der vom Fuß des Vorhangs volle ein Meter achtzig bis zum oberen Rand maß und die ganze rechte Hälfte des Samttuchs einnahm.
»Das ist wirklich ganz hervorragend«, sagte Cat bewundernd.
Habiba erklärte mit Hilfe der Übersetzerin, dass ihre Mutter und Großmutter den zweiteiligen Vorhang zusammen entworfen und angefertigt hatten. Sie hatte ihn aus dem Haus schmuggeln
müssen, denn er war das Kostbarste, was die Familie besaß. Ihre Mutter würde schimpfen, wenn sie wüsste, dass sie ihn so herumzeigte, obendrein Fremden, aber an ihren glänzenden Augen sah Cat, wie stolz sie tatsächlich war. Die Arbeit zeigte auch bei den anderen Frauen Wirkung, denn sie machten begehrliche Bemerkungen, und plötzlich spürte Cat, wie ihr eigener Ehrgeiz angestachelt wurde. Eine solche Arbeit würde auch sie machen können, feiner sogar noch, wenn man ihr die Gelegenheit gab. Sehnsüchtig dachte sie an ihr Altartuch unter dem Bett auf Kenegie, das inzwischen zweifellos von Spinnweben und Mäusekot verhunzt wäre, und einen Moment lang war sie traurig, dass niemand je ihren schönsten Entwurf sehen oder preisen würde. Ich werde es noch übertrumpfen, nahm sie sich vor. In dieser neuen Welt werde ich etwas machen, was noch schöner ist.
Leila und Hasna hatten eine Reihe von Vorlagen aus Fez und anderen Gegenden aufgetrieben. Die meisten waren vortrefflich ausgeführte, durchweg einfarbige Arbeiten: ein Schal in Rot, ein Matratzenbezug in Blau oder ein hübscher Bettvorhang in Violett und Malve, hier und da mit einem Hauch von Gold
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