Die Zehnte Gabe: Roman
John seine Zeit lieber in der Stadt verbringt. Wenn die Frauen von Cornwall genauso selbstherrlich sind wie du, kann es da unten nicht viel geben, das zu seiner Unterhaltung beiträgt.«
»Ich habe immer gehört, dass Will Shakespeare populärer war als Kit Marlowe«, sagte der Offizier, darauf bedacht, nicht aus ihrer Unterhaltung ausgeschlossen zu werden.
Marshall verzog das Gesicht. »Der alte Shake-a-stick war butterweich, machte immer gemeinsame Sache mit denen, die gerade an der Macht waren, und war so geschwätzig wie der Tag lang ist. Gott, was für Monologe … Ich konnte mir nie meinen vermaledeiten Text merken, sondern musste improvisieren und versuchen, den einen oder anderen Lacher rauszuholen.«
»Gab es da nicht einen gewissen Titus Andronicus? «, sinnierte der Seemann. »Der hat mir gut gefallen.«
»Das war typisch für ihn, er hat immer versucht, die allgemeine Stimmung einzufangen. Aber es ist ihm nie richtig gelungen«, sagte Marshall abschätzig. »Nein, Kit hatte in puncto Grausamkeit den besseren Durchblick. Keiner kann seinem Tamerlan oder auch dem reichen Juden von Malta das Wasser reichen. Allerdings gebührt auch Tourneur Respekt, er hatte das richtige Gefühl für Gewalt. Und selbst Kyd hatte Stärken.«
»Aye, seine Spanische Tragödie war nicht übel«, pflichtete der Seemann bei. »Aber letztes Jahr wollte ich mir den Renegado ansehen und bin nach einer Stunde gegangen, so langweilig war es.«
»Der ist von Massinger, nicht von Kyd«, wies Marshall ihn mit dem weltmännischen Überdruss eines Kenners zurecht.
Rob merkte, dass er kaum noch mitkam. Dennoch musste er versuchen, sich mit diesen neuen Kameraden zu verstehen, deshalb mischte er sich wieder ein. »Stimmt es, dass im Othello ein Mohr vorkommt?«
»Aye«, nickte der Seemann fröhlich. »Pechschwarz, aber dann heiratet er eine weiße Frau - ist ja logisch, dass das gegen die Natur verstößt. Man redet ihm ein, sie hätte sich mit einem andern eingelassen, worauf er ihr den Hals umdreht.«
»Der arme Kerl«, rief Robert aus. »Wie ungerecht!«
»Ungerecht?« Marshall klopfte ihm auf die Schulter. »Das Leben ist alles andere als gerecht, mein Junge. Das hast du doch bestimmt schon gelernt mit deinen … wie viel? Zwanzig Jahren?«
»Dreiundzwanzig«, korrigierte Rob.
»Aye, du bist noch ziemlich jung, aber trotzdem alt genug, um zu wissen, dass man wegen einer Frau nicht den Kopf verliert.«
Robin schob streitlustig das Kinn vor. »Was soll das heißen?«
»John hat erwähnt, dass du dich der Expedition mit dem verrückten Vorsatz angeschlossen hast, eine Dirne aus den Händen der Freibeuter von Sallee zu befreien.«
»Sie ist keine Dirne«, sagte Rob hitzig.
Nun war der Seemann neugierig. »Erzähl doch mal, Junge«, rief er. »Das klingt ja fast, als wär deine Geschichte besser als die von zehn Stückeschreibern zusammen.«
Marshall sah, wie Rob bis zu den Haarwurzeln errötete. »Geht an Eure Arbeit«, befahl er dem Seemann knapp. »Das ist ein Thema, das nur Gentlemen etwas angeht.«
Der Seemann warf ihm einen wissenden Blick zu. »Ist nix Besonderes dran an dem, was Männer und Frauen miteinander treiben - so viel verstehe auch ich davon. Frauen sind trotz Samt und Seide nichts als läufige Hündinnen und Männer Böcke mit aufgerichtetem Schwanz, basta. Doch wenn meine Gegenwart Euch in Verlegenheit bringt, Gentlemen , dann will ich Euch lieber allein lassen.«
Marshall sah dem Mann nach, dann beugte er sich zu Rob vor. »Wenn ich du wäre, mein Junge, würde ich mir die Sache aus dem Kopf schlagen. Diese Türken sind unberechenbar in ihren Gelüsten, besonders wenn es um süßes, weißes Fleisch geht, und sie machen sich über einen Kerl ebenso her wie über eine Frau. Die Kleine ist ohnehin ruiniert, was also wäre der Sinn einer solch noblen Geste? Komm mit und genieße die Reise, ja, und wenn wir Glück haben und auf dem Rückweg ein spanisches Schiff kapern können, steht auch dir ein Teil der Beute zu. Wir segeln unter dem Königlichen Kaperbrief, es würde nicht mal gegen das Gesetz verstoßen. Dann kannst du dir jede Menge feiner Weibsbilder leisten und als Held nach Hause zurückkehren.«
»Sie ist meine Braut«, log Rob und biss die Zähne zusammen, um nicht handgreiflich zu werden. »Ich habe geschworen, sie nach Hause zurückzuholen oder bei dem Versuch mein Leben zu lassen.«
Marshall zuckte mit den Schultern. »Letzteres ist wahrscheinlicher.«
»Aber Ihr nehmt mich doch mit, wie mit
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