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Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
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tatsächlich erklang plötzlich ein zweiter Ruf von weit oben und links von uns.
    »Sie sitzt auf dem Minarett«, sagte Idriss und lächelte. »Jetzt werden sie zueinanderfinden.«
     
    Später, als ich allein in seinem Zimmer war, setzte ich mich auf die Bettkante und nahm den Umschlag aus meiner Tasche. Er enthielt die Wahrheit über ein anderes getrenntes Liebespaar. Ich hatte Idriss versprochen, dass ich die Geschichte nicht ohne ihn zu Ende lesen würde, aber nun konnte ich es mir nicht verkneifen, einen Blick auf die folgenden Seiten zu werfen.
    » Hände und Füße in Eisenschellen «, las ich und … » so oft und
grausam ausgepeitscht, bis Blut floss .« Mein Blick flog zum Ende der Seite und blieb an folgenden Sätzen hängen: » Doch ach, der arme Jack Kellynch, ein braver Mann, der ein so grausames Loos nicht verdient hatte & eines gewaltsamen Todes starb .« Arme Matty Pengelly, dachte ich und fragte mich, was wohl aus ihr geworden sein mochte. Hatte sie erfahren, was Jack zugestoßen war, oder hatte man sie bereits an einen Herrn verkauft, der sie in seiner Küche schuften ließ oder, schlimmer noch, in seinem Bett? Ich stand auf, zog die Djellaba und das Kopftuch aus und bürstete mein plattgedrücktes Haar. Dann stellte ich mich im Bad nebenan kurz unter die kalte Dusche und kletterte in mein schmales Bett. Eigentlich hatte ich die Blätter wieder in den Umschlag stecken wollen, doch, wirklich, aber als ich nach ihnen griff, fiel mein Auge auf die Worte: » Unser Schiff legte am drei und zwanzigsten Juli anno 1626 in Plymouth an & nie war ich so froh, die Küste von England zu sehen .« So war es also gewesen. Robert Bolitho hatte fast ein Jahr gebraucht, aber trotz seiner schrecklichen Erfahrungen letztlich triumphiert und seine Catherine heil nach Hause geführt. Ich fragte mich, wie es ihm gelungen sein mochte, aus dem Sklavengefängnis zu fliehen, mit Cat, doch das hatte Zeit. Jetzt musste ich erst einmal schlafen.
    Daran war allerdings nicht zu denken. Ich wälzte mich hin und her, ohne Ruhe zu finden. Ich hätte schwören können, dass ich vor meinem Fenster eine Eule hörte, aber das war lächerlich: Ich befand mich im Zentrum einer afrikanischen Großstadt, nicht in der Wildnis von Cornwall. Trotzdem träumte ich, als ich endlich einschlief, von Catherine.

EINUNDDREISSIG

    CATHERINE
    1625
     
    Z u Cats großer Überraschung verging die Zeit wie im Flug, und ehe sie es merkte, war ein Monat vorbei und dann auch das Ende des Jahres. Hier allerdings sprach niemand von Weihnachten: Es gab keine Schneestürme, die von Nordwesten heranzogen, keine mit Stechpalmen und Efeu geschmückten Kamine - Kamine waren überhaupt unbekannt - keinen heißen, mit Nelken und Brandy gewürzten Posset, keine Mitternachtsmette in der Kirche von Gulval, wo alle mit den Füßen stampften oder sich beim Beten verstohlen in die Hände bliesen, um sich warm zu halten. Der Januar ging über in den Februar, und die ersten Zeichen des Frühlings machten sich bemerkbar. Ob sie Kenegie vermisste? Sie versuchte, nicht an ihr früheres Leben zu denken, doch hin und wieder stahl sich eine Erinnerung in ihr Bewusstsein, wenn sie mit etwas ganz anderem beschäftigt war: Wenn die Frauen über ihre Stickrahmen gebeugt saßen und ihr Plappern genauso klang wie das der Milchmädchen in den Kuhställen, die darüber tratschten, wer mit wem zum Dorftanz ging, wenn sie mit Leila zum Gipfel des Hügels hinaufstieg, wo die Geschütze standen, und zusah, wie das Meer gegen die Felsen klatschte, genau wie in Market Jew, wenn sie eine Rübe schälte oder am Morgen verwirrt aufwachte und nicht wusste, wer sie war oder wo.
    Ihr Leben war ganz anders als das, was sie an diesem fremden Ort erwartet hatte. Es war einfach, aber nicht asketisch,
gelegentlich hart, doch niemals grausam. Die Menschen widmeten den täglichen Gebeten viel Zeit, mindestens ebenso viel brauchten sie für die Zubereitung des Tees, den die Frauen tranken, wenn sie ihre Arbeit unterbrachen. Dann saßen sie da und erzählten sich den neuesten Klatsch. So etwas wäre auf Kenegie undenkbar gewesen. In einem Hamam zu baden war eine Offenbarung und hatte sich von einer gefürchteten Strafe in ein Vergnügen verwandelt, auf das sie sich freute. Das Essen war niemals einfach nur notwendige Nahrungsaufnahme, sondern fantasievoll gewürzt und elegant arrangiert - eine Freude für das Auge wie für den Gaumen, wie Habiba ihr halb mit Gesten, halb mit Worten einschärfte, wenn Cat das

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