Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Zehnte Gabe: Roman

Titel: Die Zehnte Gabe: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Johnson , Pociao
Vom Netzwerk:
und starrte ihn an. »Dann spielt es keine Rolle, ob ich damit Eure Wunde behandele oder nicht. Oder ob ich sie anschließend sorgsam vernähe. Wenn Ihr sterbt, so ist es Gottes Wille, deshalb verstehe ich nicht, warum Ihr Euch solche Mühe gebt, mich hierherzuholen oder warum Ihr meiner Mutter und mir droht, nur damit Ihr Euren Willen habt.«
    Al-Andalusi rutschte unbehaglich hin und her und schloss vor Schmerz die Augen. »Ist nicht gut, wenn eine Frau versucht, so zu reden wie ein Mann, erst recht eine Ungläubige, die nicht versteht, was Gottes Wille ist. Allein der Versuch ist dumm. Ich verliere die Geduld. Vielleicht lasse ich dich über Bord werfen, um mir dein Plappern zu ersparen. Doch es sieht so aus, als wärest du mir von Allah geschickt worden, und der Allmächtige wird einen Grund haben. Jetzt streich Honig auf die Wunden
und nähe sie gut zu, dann werden wir sehen, was er vorhat, mit dir und mit mir.«
    Cat schürzte die Lippen, kratzte einen Löffel voll Honig heraus und presste ihn in die Wunde am Bein. Der Muskel spannte sich, als sie zudrückte; sie spürte, wie das harte Fleisch unter ihrer Berührung zuckte wie ein Tier. Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu, aber er starrte auf die Kerzenflamme in der Laterne über seinem Kopf. Seine dunklen Augen waren unergründlich. Dann wandte sie sich der Wunde an der Seite zu. Hier war die Haut heller als die in seinem Gesicht oder auf den Armen und so weich wie die einer Frau. Auf alle Fälle weicher als die von Matty. Sie fühlte sich an wie Seide, obgleich die Wunde selbst schrecklich anzusehen war und sich ebenso furchtbar anfühlte, als sie den Honig darauf verteilte, sodass sie rasch den Blick abwendete, um sich nicht übergeben zu müssen.
    »Jetzt nähe mit kleinen Stichen«, befahl der raïs mit heiserer Stimme. »Dieser Körper gehört Gott, und er muss heilen, damit sein Wille geschehe.«
    Cat fädelte ein Stück des im heißen Wasser liegenden Seidenfadens in die Nadel, verscheuchte alles andere aus ihrem Bewusstsein und machte sich an die widerwärtige Aufgabe.

FÜNFZEHN
    So liege ich hier in der Kajüte des Piratenkapitäns, wo ich bleiben muß, um ihn zu pflegen & schreibe dies im Schein einer Laterne, in weit größerer Annehmlichkeit als meine arme Mutter, Tante & Onkel & die anderen unter Deck. Was werden sie von mir denken, daß ich hier bin alle Tage allein mit dem türkischen raïs, obgleich er schwach ist bis zum Tode & jederzeit das Zeitliche zu segnen vermöchte? Nichts Gutes gewißlich. Viele würden sagen, daß ich nicht warten solle, bis seine Wunde ihn dahinrafft, sondern die Gelegenheit ergreifen, ihn zu töten für alle Grausamkeiten, die er braven Christenleuten angedeihen ließ, doch wenn der Kapitän nicht mehr ist, wäre ich der Gnade von Männern wie Ashab Ibrahim ausgeliefert, ein noch schlimmeres Los, & so will ich alles thun, was nötig ist, um ihn am Leben zu erhalten & hoffen, daß der Herr unser Gott sich unserer erbarmt.
    A l-Andalusi war ein kräftiger Mann und als Krieger und Korsar oft verwundet worden, doch die Verletzung, die der Stahl aus Toledo ihm dieses Mal beigebracht hatte, drohte ihn dahinzuraffen. Das Fleisch schwoll an und entzündete sich, trotz des Thymianhonigs und der geschickten Methode, mit der Cat die Wunde vernäht hatte.
    Drei Tage lang trotzte er dem Fieber, schwitzte, schrie im Schlaf auf und nahm nichts zu sich außer Wasser mit etwas ausgepresstem Zitronensaft. Dann ließ das Fieber nach, und er konnte eine dicke Suppe aus Kichererbsen und Knoblauch
schlürfen. Man brachte ihm jeden Morgen hartes Brot, in Olivenöl getunkt, und Tag für Tag gab er Cat die Hälfte davon ab und sah ihr beim Essen zu, bis der letzte Krümel verschwunden war. »Ich sorge für meinen Fang«, sagte er, wenn sie protestierte. »Der Sultan bezahlt mir ein Vermögen für eine solche Beute, und er kann dünne Frauen nicht leiden.«
    Der Geruch nach Schweiß und Knoblauch in der Kajüte war unerträglich. Schließlich begann die Wunde zu eitern, was den Gestank noch tausendfach verstärkte. In lichten Momenten sprach er mit den Männern, die ihn besuchten. Auf Arabisch erteilte er Befehle oder fragte nach dem Wetter und der Position des Schiffes. Seine Augen glänzten unnatürlich hell in dem stark eingefallenen Gesicht. Cat saß still in einer Ecke der Kajüte, wie befohlen, und beobachtete alles. Die meisten Männer, die die Kajüte betraten, ignorierten sie, doch einige starrten sie auch unverhohlen

Weitere Kostenlose Bücher