Die zehnte Kammer
zu. Es war ein Freitag, der 13., ein Datum, das fortan als Unglückstag gelten sollte.
In Paris wurde Jacques de Molay, der Großmeister der Tempelritter, zusammen mit sechzig Getreuen inhaftiert. Auch im Rest Frankreichs und ganz Europa trieb man Tausende von Tempelrittern und ihre Gefolgsleute zusammen und warf sie in den Kerker, wo man sie folterte und ihnen Geständnisse abpresste. Dabei stellte man ihnen immer dieselben Fragen. Wo war ihr immenser Schatz versteckt? Wo war ihre Flotte, die früher in La Rochelle stationiert gewesen war?
Nach Ruac kamen die Schergen eines Mittags, als die Mönche gerade nach der Sext die Kirche verließen. Ein Trupp von Soldaten unter einem kleinen, streitsüchtigen Hauptmann namens Guyard de Charney stürmte in das Kloster und nahm alle Brüder gefangen.
»Dies ist ein Haus der Tempelritter!«, brüllte der Hauptmann, der einen üblen Mundgeruch hatte. »Auf Anordnung des Königs und des Papstes müssen sich alle Tempelritter in unseren Gewahrsam begeben. Ihr Geld und andere Schätze werden hiermit konfisziert.«
Der Abt von Ruac, ein großer Mann mit einem schwarzen Spitzbart, ergriff das Wort: »Edler Herr, dies ist kein Haus der Tempelritter. Wir sind eine bescheidene Zisterzienserabtei, das wisst Ihr genau.«
»Bernhard von Clairvaux hat dieses Kloster gegründet!«, brüllte der Hauptmann. »Und seine unreine Hand hat auch die Tempelritter geschaffen. Wir wissen, dass dieses Kloster im Lauf der Jahre zu einem Zufluchtsort für Templer und ihre Freunde wurde.«
Unter den im Hintergrund versammelten Mönchen ließ sich eine Stimme vernehmen: »Was heißt hier unreine Hand? Habt Ihr gerade gesagt, dass Bernhard, unser verehrter Heiliger, eine unreine Hand hatte?«
Barthomieu packte Nivard an seiner Kutte, um ihn zu mäßigen, aber es war zu spät.
»Wer hat das gesagt?«, schrie der Hauptmann.
»Ich war das.« Nivard schritt hoch aufgerichtet nach vorn. Barthomieu zwang sich, seinem Bruder zu folgen. Der Hauptmann funkelte die beiden Mönche böse an.
»Was wollt ihr?«, fragte er.
»Dass Ihr Eure gemeine Aussage über den heiligen Bernhard sofort zurücknehmt«, sagte Nivard mit fester Stimme.
»Wer bist du, Mönch, dass du es wagst, mir Befehle zu erteilen?«
»Ich bin Nivard von Fontaines, Putter des Templerordens und Verteidiger von Jerusalem.«
»Ein Tempelritter!«, rief der Hauptmann höhnisch. »Du siehst eher aus wie ein Bettelmönch!« Die Männer des Königs brachen in Gelächter aus.
Barthomieu sah, wie Nivards Miene versteinerte. Das, was dann geschah, konnte er nicht verhindern, so, wie er den halsstarrigen Nivard in seinem langen Leben nie von etwas hatte abhalten können, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Barthomieu war während der Kreuzzüge gerne in der Abtei geblieben, aber Nivard war ein ruheloser Abenteurer, der seine Zutaten für den Trank kurzerhand in eine Truhe gepackt hatte und verschwunden war.
Nivard trat nahe genug an den Hauptmann heran, um den Gestank seiner verrotteten Zähne riechen zu können. Der Mann grinste ihn herausfordernd an, als warte er nur darauf, dass Nivard einen Fehler machte.
Er musste nicht lange warten. Eine schallende Ohrfeige traf sein Gesicht so heftig, dass er Blut auf seinen Lippen schmeckte.
Der Hauptmann zog sein Schwert.
Der Abt und Barthomieu eilten herbei, um Nivard wegzuziehen, aber es war zu spät.
Man hörte das ekelerregende Geräusch einer Klinge, die durch weiches Fleisch sticht.
Der Hauptmann schien von seiner Tat selbst überrascht zu sein. Er war nicht gekommen, um einen der Mönche zu töten, aber nun hatte er sein blutiges Schwert in der Hand, und der Mann, dem er es soeben durch den Bauch gestochen hatte, umklammerte seine Knie und stieß, während er die Augen zum Himmel richtete, seine letzten Worte aus: »Bernhard. Mein Bruder.«
In einem Anfall von Zorn befahl der Hauptmann, die Abtei zu durchsuchen und zu plündern. Silberne Becher und Kerzenleuchter wurden beschlagnahmt. Hölzerne Bodendielen wurden herausgerissen, um darunter nach dem Schatz der Tempelritter zu suchen. Die Mönche wurden mit derben Schimpfworten bedacht und wie Hunde herumgestoßen.
Im Krankentrakt zitterte Bruder Michel wie ein verschreckter Hase, als die Soldaten die Betten umwarfen und die Regale durchstöberten. Viele Jahrzehnte hatte er Jean als Gehilfe gedient, und erst, als dieser bei seinem Sturz vom Maultier einen vorzeitigen Tod gefunden hatte, war Michel endlich selbst Infirmarius der Abtei
Weitere Kostenlose Bücher