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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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frühmorgens mit einer guten Fackel in der Hand allein hinein und spürte schon beim Aufstieg dieselbe Ergriffenheit, die er bei seinem ersten Besuch vor mehr als hundert Jahren empfunden hatte.
    Er fand den Weg sofort, und als er oben war, schien ihn der weit offene Eingang zur Höhle wie einen alten Freund willkommen zu heißen.
    Barthomieu verbrachte eine gute Stunde in den zehn Kammern. Als er wieder ans Tageslicht kam, ruhte er sich auf dem Felssims ein wenig aus und labte seine Augen zum letzten Mal an der saftig grünen Weite des Flusstales, bevor er sich langsam auf den Rückweg zur Abtei machte.
    Zurück an seinem Schreibtisch, zeichnete Barthomieu die wundersamen Höhlenmalereien aus dem Gedächtnis in sein Buch und beendete es mit einer einfachen Karte, die einem Pilger späterer Jahre den Weg zur Höhle weisen würde. Damit war das Buch fertig und musste nur noch gebunden werden. Barthomieu erledigte das mit liebevoller Hingabe und zum Andenken an seinen Bruder Bernhard. In einem Regal des Skriptoriums lagerte schon lange ein Stück rotes Leder, das ihm bisher immer zu edel für den Einband eines gewöhnlichen Buches erschienen war. Nun war seine Zeit gekommen. Mehrere Tage lang arbeitete Barthomieu am Einband des Buches, in den er mit Hilfe einer eigens angefertigten Schablone die Figur des heiligen Bernhard prägte, komplett mit einem Heiligenschein, der über dem Kopf seines verstorbenen Bruders schwebte.
    Als das Buch fertig gebunden war, sah es schon sehr gut aus, aber Barthomieu war immer noch nicht ganz damit zufrieden. Es fehlte noch der letzte Schliff, damit das Äußere auch wirklich dem Inhalt angemessen war. Unter seiner Matratze bewahrte Barthomieu eine kleine Silberdose auf, ein Familienerbstück, das bei der Plünderung des Klosters den Soldaten des Königs nicht in die Hände gefallen war.
    Er schmolz sie über dem Feuer ein und bat Bruder Michel, ihm zu helfen.
    In einer kleinen Abtei wie Ruac mussten die Mönche aus der Not heraus seit jeher mehr als eine Fertigkeit erlernen. So war Michel nicht nur in der Heilkunde geschult, er hatte sich außerdem Kenntnisse als Schmied und Silberschmied erworben. Als Barthomieu ihn bat, sein soeben fertig gebundenes Manuskript mit Ecken und Buchnägeln aus Silber zu verzieren, konnte Michel der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick auf die von Barthomieu engbeschriebenen Seiten zu werfen. Nicht ahnend, dass Jean seinen Gehilfen vor vielen Jahren die Verschlüsselungstechnik gelehrt hatte, hatte Barthomieu einen Zettel mit den von ihm verwendeten Codeworten NIVARD, HELOISE und TEMPELRITTER zwischen den Seiten des Buches gelassen.
    Als Michel ihm ein paar Tage später das Buch mit glänzendem Silberschmuck versehen zurückgab, war Barthomieu höchst zufrieden und küsste Michel herzlich für seine prächtige Arbeit. Allerdings fand er es ein wenig seltsam, dass der stets neugierige Michel ihn nicht danach gefragt hatte, was es mit diesem seltsamen Buch auch sich habe. Doch als er ihn deshalb neckte, wich der Infirmarius ihm aus und sagte, er müsse dringend zurück in seine Krankenstube.
    Wenig später kam die Nachricht, dass man ein nahegelegenes Weingut der Tempelritter aufgelöst und seine Verwalter verhaftet habe. Es war nur eine Frage der Zeit, bevor die Männer des Königs auch nach Ruac zurückkamen, dessen war sich Barthomieu sicher. Eines Nachts, als alle anderen schliefen, schlug er ein Loch in eine Flechtwerkwand des Kapitelhauses und versteckte sein Manuskript darin. Zuvor aber warf er noch einmal einen Blick auf die letzte Seite. Obwohl sie chiffriert war, erinnerte sich Barthomieu noch an jedes Wort, das er geschrieben hatte:
     
    »An diejenigen, die es geschafft haben, dieses Buch zu finden und seine Bedeutung zu entschlüsseln: Dies ist die Botschaft eines armen Mönchs, der zweihundertzwanzig Jahre lang gelebt hat und noch älter geworden wäre, hätten nicht König und Papst ein Komplott gegen den heiligen Orden der Tempelritter geschmiedet, jene Vereinigung, die mein geliebter Bruder, Sankt Bernhard von Clairvaux, mit ins Leben gerufen hat. Benutzt das Wissen aus diesem Buch so, wie auch ich es getan habe, um ein langes, erfülltes Leben im Dienst unseres Herrn Jesus Christus zu führen. Ehrt ihn, so, wie ich ihn geehrt habe. Liebt ihn, so, wie ich ihn geliebt habe. Möget Ihr ein friedliches und gutes Leben haben. Und sprecht ein Gebet für Euren armen Diener Barthomieu, der als alter Mann mit einem jungen Herzen von dieser Erde

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