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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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das Porträt, egal, ob es nun wertvoll war oder nicht. Der junge Mann auf dem Gemälde gehörte jetzt ihr. Sie würde ihn an die Wand über ihrem Küchentisch hängen, um mit ihm zu frühstücken, zu Mittag und zu Abend zu essen.
    Er war wirklich ein hübscher Junge.
    Fast die ganze Nacht lang zählten sie im Licht einer nackten Glühbirne das Bargeld und stapelten die Goldbarren. Trunken von ihrem Sieg und vom Alkohol, hörten sie, wie Bonnet schließlich das Ergebnis ihrer Zählung verkündete: »Das reicht für uns alle ein Leben lang.« Er hob sein Glas. »Meine Freunde und Familie, ich trinke auf ein langes Leben!«
     
    Es war nach ein Uhr nachts, aber trotz seines endlos langen Tages war Luc nicht müde. Wie betäubt, aber nicht müde. Die Frau, die er verwundert anstarrte, war einhundertsechzehn Jahre alt und sah trotzdem so sinnlich und frisch aus wie eine attraktive Vierzigjährige.
    »Seit dem Krieg haben wir hier friedlich gelebt«, sagte sie. »Wir belästigen niemanden, und niemand belästigt uns. Wir wollen unser Leben leben, das ist alles. Dann aber kamen Sie hierher, und alles hat sich geändert.«
    »Dann ist das wohl alles meine Schuld?«, fragte er ungläubig. »Wollen Sie damit etwa sagen, dass das Blut der Menschen, die Sie umgebracht haben, an meinen Händen klebt?«
    Schwere Schritte kamen aus der Küche. Als Luc sie hörte, drehte er sich rasch um. Bonnet stand in der Tür und blockierte sie mit seinem massigen Körper. Er hatte sich lange nicht rasiert, sodass seine Wangen voller weißer Stoppeln waren.
    »Wir haben das Recht, uns zu schützen!«, schleuderte er Luc entgegen. »Wir haben das Recht, frei zu sein. Wir haben das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Ich erlaube nicht, dass wir untersucht und wie Tiere in einem Zoo behandelt werden. All das wird geschehen, wenn Sie weitermachen mit dieser verdammten Höhle.«
    Sein Sohn stand hinter ihm. Sein praller Bizeps spannte die Ärmel seines TShirts. Als die beiden Männer ins Wohnzimmer kamen, sah Luc, dass sie Dreck an den Stiefeln hatten.
    »Okay«, sagte Luc und trat ihnen entgegen. »Ich habe mir angehört, was Odile zu sagen hatte, und weiß jetzt, wer Sie sind. Und nun lassen Sie mich zu Sara, damit ich sie nach Hause bringen kann.«
    »Erst müssen wir mit Ihnen reden«, beharrte Bonnet.
    »Worüber?«
    »Darüber, wer sonst noch von unserem Geheimnis weiß. Wem haben Sie von uns erzählt?«
    Wenn sie vorhatten, ihn mit ihren finsteren Blicken und ihrer aggressiven Körpersprache einzuschüchtern, hatten sie es geschafft. Luc war kein Schwächling, aber auch kein Kämpfer. Diese Männer waren zu äußerster Gewalt fähig, das hatten sie mehr als einmal bewiesen.
    »Niemand sonst weiß etwas, aber wenn mir irgendetwas zustoßen sollte, werden es alle wissen. Ich habe einen Brief hinterlassen, der geöffnet werden soll, falls ich sterben oder verschwinden sollte.«
    »Wo ist dieser Brief?«, fragte Bonnet.
    »Das sage ich Ihnen nicht. Wo ist Sara?«
    Nun grinste Jacques. »Nicht weit von hier. Ich habe ein Auge auf sie.«
    Der lüsterne Ausdruck auf diesem großen, dummen Gesicht ließ bei Luc die Sicherungen durchbrennen. Es war ihm egal, was mit ihm geschah, er stürzte sich, ohne lange zu überlegen, auf Jacques und schlug ihm mit der Faust mitten ins Gesicht.
    Es schien seiner Hand mehr wehzutun als Jacques, der ihn nur erstaunt ansah und dann das Knie in Lucs Schritt rammte, sodass dieser schreiend zu Boden ging, wo ihm vor Übelkeit schwarz vor Augen wurde.
    »Jacques, nein!«, schrie Odile, als ihr Bruder Luc mit dem Fuß noch einmal in die Genitalien treten wollte.
    »Nicht da!«, erklärte Bonnet und ließ seinen Sohn zurücktreten. Dann trat der Bürgermeister auf Luc zu, beugte sich über ihn und verpasste ihm einen Faustschlag ins Genick. »Da!«

VIERUNDDREISSIG
    Luc erwachte mit einem dumpfen Pochen in seinem Kopf und einem starken Schmerz im Genick. Er presste die Hand auf die schmerzende Stelle, die sich geschwollen anfühlte, aber da er alle seine Glieder noch bewegen konnte, ging er davon aus, dass kein Wirbel gebrochen war. Er lag auf der Seite auf einem alten, muffigen Feldbett und blickte auf eine Wand aus grauem Sandstein, dem felsigen Rückgrat des Périgord.
    Er rollte sich auf den Rücken, aber da schien ihm eine nackte Glühbirne, die an einem Kabel von der Decke hing, direkt in die Augen. Also rollte Luc sich weiter auf seine rechte Seite, und da sah er das Gesicht.
    Seine Haut war so weiß und rein, dass

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