Die zehnte Kammer
aus Paris, der mit dem Rucksack durch das Périgord gewandert war. Die beiden hatten nur einmal miteinander geschlafen, aber Odile gebar eine Tochter, und die blieb am Leben.
Sie wuchs zu einem jungen, hübschen Ding heran, das alle Hoffnungen von Bonnet und dem ganzen Dorf auf ihren schmalen Schultern trug. Leider starb sie bei einem dummen Unfall im Keller, als sie auf die alten deutschen Kisten geklettert war. Eine der Kisten war umgekippt und hatte sie unter sich zerquetscht.
Odile war in eine tiefe Depression versunken und hatte trotz des inständigen Flehens ihres Vaters jegliches Interesse an auswärtigen Männern verloren.
Bis die Archäologen kamen.
Das war der einzige Lichtblick in diesem Albtraum, soweit es Bonnet betraf.
Bonnet öffnete die Tür und erwartete, zwei Menschen mitten im Liebesakt zu sehen, aber stattdessen fand er seine schlafende Tochter mit einem blauen Fleck am Unterkiefer vor.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, rief er.
Es war nicht nötig, den Raum abzusuchen. Es gab keinen Platz, wo man sich hätte verstecken können.
Bonnet stürzte hinaus und rannte so schnell, wie es seine von Arthritis geplagten Hüften zuließen, zum Zimmer von Jacques.
Was er dort vorfand, war noch viel schlimmer. Sein Sohn lag blutig und höchstwahrscheinlich tot neben dem Bett auf dem Boden, und Sara war weg.
»Mein Gott, mein Gott!«, murmelte er laut vor sich hin. Da war etwas ganz schrecklich schiefgelaufen. Wo war Simard? »Pelay!«, schrie er. »Pelay!«
Luc trug Sara die dunkle Treppe hinauf. Zum Glück war die Tür oben nicht abgesperrt. Sie führte in eine Küche, die ganz normale Küche eines Wohnhauses.
Mit Sara in den Armen ging Luc durch eine Diele in ein dunkles, leeres Wohnzimmer, wo er Sara auf die Couch legte und mit dem Betttuch zudeckte.
Er zog die Vorhänge auf und blickte hinaus auf die Hauptstraße von Ruac.
Isaaks Wagen stand auf der anderen Straßenseite direkt vor Odiles Haus.
Offenbar waren alle Häuser durch ein System von unterirdischen Gängen miteinander verbunden, und der große Raum mit dem Teekessel musste sich, wie er vermutet hatte, direkt unter der Straße befinden.
Luc blickte auf Jacques Handy. Es hatte Empfang.
Er rief die Liste mit den zuletzt gewählten Nummern auf.
Vater – Handy.
Gut, dachte er, aber dazu war jetzt keine Zeit.
Den Schlüssel von Isaaks Auto hatte man ihm weggenommen, deshalb stöberte er so schnell er konnte in dem Haus herum, von dem er annahm, dass seine Besitzer bei den anderen unter der Erde waren.
In der Diele fand er zwei nützliche Dinge: einen Satz Autoschlüssel und eine alte, einläufige Schrotflinte. Er klappte das Gewehr auf. Im Lauf steckte eine Patrone, einige weitere fand er in einem Beutel, der neben dem Gewehr auf einer Kommode lag.
Bonnet stapfte durch den Komplex unter Tage und brüllte nach Pelay. Unter dem Einfluss des Tees war mit den anderen Männern mehrere Stunden lang nichts anzufangen, deshalb hing das Schicksal des Dorfes von ihnen beiden ab.
Ich bin der Bürgermeister, dachte er.
Ich muss es tun.
Schließlich fand er Pelay, der in einem der Gänge aus einem Zimmer kam.
»Wo, zum Teufel, warst du?«, schrie Bonnet ihn an.
»Ich habe auf die anderen aufgepasst, damit nichts schiefgeht«, antwortete Pelay. »So, wie du gesagt hast. Was ist denn los?«
Bonnet schrie Pelay an, ihm zu folgen, und erzählte ihm im Laufen atemlos, was geschehen war.
Bonnet fand den Lichtschalter für den Gang.
Er war leer.
Sie rannten zum nächsten Gang. Auch dort war niemand, aber an einer der Wände war ein roter Fleck, wo Saras blutiges Laken ihn gestreift hatte.
»Da!«, sagte Bonnet.
Der Gang führte zum Haus des Bäckers. Bonnet zog seine Pistole und hastete mit Pelay schnaufend die Treppe hinauf.
Luc legte Sara auf die schmale Rückbank des vor dem Haus des Bäckers geparkten Peugeot 206, dessen Zentralverriegelung er schon per Fernbedienung vom Wohnzimmerfenster aus geöffnet hatte. Dann setzte er sich hinters Steuer, legte einen Gang ein und fuhr los.
In seinem Rückspiegel sah er, wie Bonnet und Pelay aus dem Haus des Bäckers liefen. Er hörte einen Schuss und trat das Gaspedal bis zum Boden durch.
Bonnet rannte zu seinem Café, um seine eigenen Autoschlüssel zu holen.
Sie mussten sie aufhalten.
Sie mussten sie töten.
Das schrie er Pelay zu.
Luc jagte den kleinen Peugeot mit Höchstgeschwindigkeit die leere, dunkle Landstraße entlang und brüllte eine Telefonistin in der
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